Diebstahl
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 193-196


1. D. (lat. furtum) ist die heiml. Entwendung einer fremden bewegl. Sache entgegen dem vernünftigen Willen des Eigentümers (vgl. Augustinus, Qq. in Hept. II 68, PL 34,707; Thomas v. A., S. Th. 2,2 q.66 a.3).

Unrichtig ist die Bezeichnung D. für die Entwendung fremden Eigentums in äußerster Not, weil in ihr der Entwendende sein Recht gebraucht u. der Eigentümer der Sache zu ihrer Abtretung sittl. verpflichtet ist, so daß er vernünftigerweise über ihre Entwendung nicht unwillig sein kann. Unter den Begriff des D.s fällt auch nicht die geheime Schadloshaltung (lat. occulta compensatio), bei der sich jemand v. den Gütern seines Schuldners heiml. nimmt, was ihm selbst gebührt; auch in diesem Fall trachtet der Entwendende nur, zu dem zu kommen, was ihm rechtl. zusteht, so daß der Eigentümer vernünftigerweise nicht unwillig sein kann. Wegen der Gefahr v. Irrtümern u. Übergriffen ist die geheime Schadloshaltung nur zulässig, 1. wenn es sich um eine wahre Schuld handelt, die auf einem eigentl. Recht des Gläubigers begründet ist (das Versprechen eines Geschenkes z.B. schafft keine wahre Gerechtigkeitsschuld), 2. wenn die Schuld sicher ist, da im Zweifelsfall das Recht des Besitzers als das stärkere anzusehen ist (vgl. D 2137 [1187]), 3. wenn man auf ordentl. Weg die Sache nicht erlangen kann, 4. wenn Schäden des Schuldners od. dritter Personen verhütet werden (der Schuldner könnte z.B. dadurch geschädigt werden, daß er später die Schuld begleichen will; ein Dritter könnte durch Verdächtigung des Diebstahls Schaden leiden).

Die Aneignung fremden Gutes verliert den Charakter des D.s, wenn der Eigentümer offenkundig darüber nicht unwillig ist. Häufig mag dies im Familienkreis zutreffen. An manchen Dingen liegt dem Eigentümer nichts. Kräuter, Blumen, Beeren, Schwämme, wie sie auf Wiesen u. in Wäldern wachsen, gehören dem Bodeneigentümer; da sich dieser gewöhnl. um sie nicht kümmert, kann man annehmen, daß er nichts dagegen hat, wenn andere sie sammeln; anders, wenn er das Sammeln verbietet.

Raub (lat. rapina) unterscheidet sich v. D. dadurch, daß fremdes Eigentum nicht heiml., sondern offen u. mit Gewalt entwendet wird. Er fügt zum sachl. Unrecht des D.s also das persönl. Unrecht der Gewalttat (vgl. Thomas v. A., S. Th. 2,2 q.66 a.4).

2. Eben dadurch unterscheiden sie sich auch in der sittl. Beschaffenheit. D. ist Sünde gegen die Verkehrsgerechtigkeit u. durch seine Hinterhältigkeit in etwa auch gegen die Wahrhaftigkeit (vgl. Thomas v. A., S. Th. 2,2 q.66 a.5). "Du sollst nicht stehlen!" (Ex 20,15; Dt 5,19; Mt 19,18). Je bedeutender der gestohlene Gegenstand in den Augen des Diebes ist, umso eher kann sich dieser durch sein Tun vollpersonal gegen Gott wenden. Daß D. schwere Sünde sein kann, ergibt sich daraus, daß er den Bestohlenen in seinem wesentl. Recht auf lebensnotwendige Güter empfindl. schädigen kann; auch für die menschl. Gemeinschaft bedeutet die Unsicherheit, die durch größeren D. hervorgerufen wird, einen beträchtl. Schaden (vgl. Thomas v. A., S. Th. 2,2 q.66 a.6). Jesus läßt erkennen, daß D. ein Hindernis für das Eingehen zum ewigen Leben (schwere Sünde) sein kann (Mt 19,18). Nach Paulus haben Diebe u. Räuber keinen Anteil am Reich Gottes (1 Kor 6,10). Die kirchl. Lehre weist die Auffassung zurück, D. sei nie schwere Sünde (D 1368 [717 h]).

Bedeutend (materia gravis) kann eine gestohlene Sache allg. (materia absolute gravis) oder im besonderen für ihren Eigentümer (mat. relative gr.) sein. Zur Begründung schwerer Sünde genügt einerseits das Wissen darum, daß der D. den Bestohlenen schwer trifft. Anderseits kann ein D., der den wohlhabenden Bestohlenen nicht empfindl. schädigt, doch die Allgemeinheit beunruhigen u. so ernsteren Charakter annehmen. Das kann auch geschehen, wenn sich der Dieb durch wiederholte kleine Diebstähle in kurzen Abständen nach u. nach eine große Sache aneignet od. gar v. vornherein die Absicht hat, es zu tun (vgl. Thomas v. A., S. Th. 2,2 q.66 a.6 ad 3).

Raub fügt zur Verfehlung gegen das Eigentum des Mitmenschen den tätl. Angriff gegen seine Person. Außerdem richtet sich die Wegnahme mit Gewalt stärker gegen den Willen des Eigentümers als die heiml. Wegnahme. So wiegt Raub schwerer als D. (vgl. Thomas v. A., S. Th. 2,2 q.66 a.9).


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