Eid
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 313-319


1. E. (iuramentum, ius-iurandum) nennt man die Berufung auf Gott zum Zeugnis für die Wahrheit (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.89 a.1; CICc. 1316 §1) einer Aussage über Gegenwärtiges od. Vergangenes (Aussage-E.) od. des Willens, ein Versprechen zu halten (Versprechens-E.). Der E. setzt den Glauben an Gott u. die Ehrfurcht vor ihm voraus. Wo diese Grundlage fehlt, hat der E,. keinen Sinn (vgl. Weish 14,28 f). Von denen, die nicht an Gott glauben, soll daher (vor Gericht) nicht ein E. verlangt werden, sondern nur eine feierl. Versicherung, die allerdings unter dieselben Sanktionen zu stellen ist wie der E.

Wenn der Schwörende den E. ernst nimmt, bezeugt er damit seinen Glauben an den wahrhaftigen Gott, der auch in den Menschen die Wahrheit liebt. So läßt er die Größe Gottes aufleuchten u. verherrlicht er Gott. Wenn man mit dem E. auch als Hauptzweck die Sicherung der Wahrheit erstrebt, ist er doch zugleich auch (außerordentl.) Betätigung der Gottesverehrung (vgl. Hieronymus, In Mt 5, PL 26,40 f; Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.89 a.4).


2. Zu einem echten (gültigen) E. ist die Absicht des Schwörenden, einen E. abzulegen, u. ihr sinnl. wahrnehmbarer Ausdruck erforderl.; zum Versprechens.-E. überdies das Bestehen gewisser Voraussetzungen auf seiten des Schwörenden u. auf seiten des Inhaltes des Versprechens.


a) Da der Schwörende um anderer willen schwört, muß er diesen anderen seine Absicht durch sinnl. wahrnehmbaren Ausdruck zur Kenntnis bringen. Dazu können bedeutsame Zeichen dienen, für gewöhnl. aber werden Worte (E.esformeln) verwendet.

Die erforderl. Absicht ist schon gegeben, wenn jemand um die Bedeutung des E.eszeichens od. einer E.esformel weiß u. sie ihrem Sinn entsprechend gebrauchen will. Ein E. kommt nicht zustande, wenn jemand zwar eine E.esformel ausspricht, jedoch ohne ihren Sinn zu erfassen, od. wenn jemand durch den Ausdruck den E. nur vortäuscht (ohne Absicht des Schwörens).


b) Der Versprechens-E. im besonderen ist nur dann gültig, wenn der Schwörende seinen Inhalt (die versprochene Sache) kennt u. sie versprechen will, u. wenn die Sache (der Gegenstand) mögl. u. sittl. gut ist u. nicht etwas Besseres verhindert.

Ähnl. wie das Gelübde kann der Versprechens-E. nicht zustandekommen, wenn der Schwörende die versprochene Sache nicht hinreichend kennt. Ferner muß er sich durch ein wirkl. Versprechen auf sie verpflichten wollen; ein erpreßter E. ist eine fragwürdige Angelegenheit, weshalb sich die Kirche für berechtigt hält, von seiner Verpflichtung zu entbinden (CICc. 1317 §2). Wenn unter E. eine ganz od. teilweise unmögl. Sache versprochen wird, gelten dieselben Grundsätze wie bei ganz od. teilweise unmögl. Gegenstand eines Gelübdes (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.89 a.7).

Eines sittl. unerlaubten Verhalten muß man sich immer enthalten; man darf, ja kann sich nie dazu verpflichten, auch nicht durch ein beschworenes Versprechen. Durch einen derartigen E. würde man Gott nicht ehren, sondern gegen ihn freveln (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.89 a.7). Musterbeispiele dafür sind der E. des Herodes (Mk 6,22-28) u. der E. derer, die sich gegen das Leben des hl. Paulus verschworen (Apg 23,12). Die Kirche betrachtet jeden E. als ungültig, durch den etwas versprochen wird, was anderen od. dem öffentl. Wohl od. dem ewigen Heil von Menschen schadet (c. 1317 §3). Von daher fällt Licht auf die Gelöbnisse der Treue u. des Gehorsams, wie sie Staaten von gewissen Gruppen ihrer Bürger (z.B. Soldaten, Beamten) zu verlangen pflegen, manchmal auch von Inhabern kirchlicher Ämter (vgl. Deutsches Reichskonkordat 1933, Art. 16); wenn sie keine Berufung auf Gott enthalten, sind sie keine eigentl. E.e. Auf keinen Fall kann man durch solche Gelöbnisse auf sittl. Unerlaubtes verpflichtet werden.

Ein Versprechens-E. über ein Verhalten, das Besseres verhindert, ehrt Gott nicht, gilt daher nicht (Thomas v. Aq., S.Th. 2,2, q.89 a.7). Freil. ist sorgfältig zu prüfen, was in der gegebenen Situation das Bessere ist.


3. Der gültige Versprechens-E. erzeugt die Verpflichtung, das Versprochene zu leisten (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.89 a.7), u. zwar nicht nur wie jedes Versprechen aus dem Motiv der Treue, sondern wegen des beigefügten E.es auch aus dem Motiv der Gottesverehrung (vgl. CICc. 1317 §1). Ezechiel brandmarkt die Nichteinhaltung des E.es, den Zidkija, König von Juda, dem babylonischen Zwingherrn Nebukadnezar geschworen hat (Ez 17,13-21).

Nur aus einem gültigen E. erwächst die Pflicht der Erfüllung. Da ein fingierter E. kein gültiger E. ist, zieht er diese Pflicht nicht nach sich. Wohl aber kann aus ihm die Pflicht entspringen, einen ungerecht Getäuschten schadlos zu halten.

Wenn es darum geht, die aus einem Versprechens-E. entspringende Verpflichtung genau abzugrenzen, ist der E. (wenn er sich nicht auf eine anderweitig festgelegte Sache bezieht) in erster Linie nach der Absicht des Schwörenden zu interpretieren, da ja durch diesen die Verpflichtung geschaffen wurde; weitere Hilfen sind der Grundsatz, daß Pflichten nicht unbegründet vergrößert werden dürfen; in Rechtsdingen das Gesetz; bei betrügerischem Vorgehen des Schwörenden die Auffassung dessen, dem der E. geleistet wurde (CICc. 1321). Zu beachten ist ferner, daß sich der E. in seiner Verpflichtung nach dem Versprechen richtet, dem er beigefügt wurde (c. 1318 §1); wenn z.B. das Versprechen ungültig ist, schafft der E. allein nicht eine Verpflichtung.


4. Zur sittl. Problematik des E.es gehört die Frage, ob er überhaupt erlaubt ist, u., wenn ja, unter welchen Bedingungen.


a) Gegen seine sittl. Erlaubtheit scheint die Hl.Schrift zu sprechen. "Ferner habt ihr gehört, daß zu den Alten gesagt wurde: Du sollst keinen Meineid schwören, sondern du sollst dem Herrn deine Schwüre halten. Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören ... Vielmehr soll euere Rede (so) sein: Ja (sei) Ja, Nein (sei) Nein. Was darüber hinausgeht, ist vom Bösen" (Mt 5,33 f.37) "Vor allem aber, Brüder, schwört nicht, weder beim Himmel noch bei der Erde, noch irgendeinen anderen E. Es sei vielmehr euer Ja ein Ja u. euer Nein ein Nein, damit ihr nicht unter das Gericht fallt" (Jak 5,12).

Im Anschluß daran haben einzelne Kirchenschriftsteller, mehr noch Sekten, die das Christentum in seiner ursprüngl. Reinheit wiederherzustellen vorgaben (Katharer, Waldenser, Baptisten, Mennoniten, Herrnhuter, Quäker), den E. für unerlaubt erklärt. Auch Kant, Fichte, Tolstoj lehnten ihn, z.T. aus anderen Gründen, ab.

Zu beachten ist aber, daß das AT den E. billigt ("Jahwe, deinen Gott, sollst du fürchten, ihn sollst du verehren u. bei seinem Namen schwören", Dtn 6,13). Paulus beruft sich wiederholt auf die Zeugenschaft Gottes: "Ich rufe aber Gott zum Zeugen an gegen mein Leben, daß ich, um euch zu schonen, nicht mehr nach Korinth gekommen bin" (2 Kor 1,23; vgl. 11,31; Röm 1,9; Gal 1,20; Phil 1,8). Sinn des E.es ist es, Sicherheit zu schaffen (Hebr 6,16). So bekennt sich auch die Tradition im großen u. ganzen zur Erlaubtheit des E.es (vgl. Augustinus, De mend. 28, PL 40,507).

Bei näherem Zusehen ergibt sich, daß die Wurzel des E.es gut ist: der Glaube an die Allwissenheit, die Wahrhaftigkeit, die Vorsehung Gottes; durch die Bekundung dieses Glaubens wird Gott geehrt. Auch das Ziel des E.es ist gut: die Festigung des Vertrauens unter den Menschen, die Beendung von Streitigkeiten. So darf der E. als gut angesehen werden u. ist das Tadelnswerte nur im Mißbrauch zu vermuten (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.89 a.2). Wohl bezeichnen Jesus u. Jakobus den E. als etwas, was nicht sein sollte. Der Grund dafür liegt aber in dem, was den E. notwendig macht, näml. in der Unwahrhaftigkeit der Menschen u. dem daraus entspringenden Mißtrauen. Christl. Forderung ist es, jeder möge sich so vollkommen an die Wahrheit halten, daß man immer seinem bloßen Wort trauen kann u. einen E. nicht mehr für nötig erachtet. Getadelt wird der Mangel an Wahrhaftigkeit, der einen E. überhaupt notwendig macht, nicht jedoch der E., solange die volle Wahrhaftigkeit als Voraussetzung des eidlosen Zustandes nicht gegeben ist. Bei restloser Verwirklichung der christl. Vollkommenheit muß der E. von selbst überflüssig werden.

Die Kirche hält daher an der Berechtigung des E.es fest (D 795 1193 1552 f 2501 2675).

Obwohl die gänzl. Ablehnung des E.es auf einem Irrtum beruht, ist es doch gut, ihn von denen nicht zu fordern, die ihn für unerlaubt halten, sondern ihrer feierl. Versicherung im Bedarfsfall den gleichen Wert beizumessen.


b) Wenn auch nicht jeder E. abgelehnt werden muß, kann er doch nur unter bestimmten Bedingungen als zulässig angesehen werden (vgl. Hieronymus, In Ierem. proph. I 4, PL 24,706; Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.89 a.3; CICc. 1316 §1).

Den wahrhaftigen Gott als Zeugen anrufen darf man nur, wenn man dabei selbst ganz wahrhaftig ist, d.h. wenn man die beschworene Aussage übereinstimmend mit der eigenen Überzeugung macht od. wenn man sich durch das beschworene Versprechen wirkl. verpflichten u. es erfüllen will. Ob mehrdeutige Rede beim Schwören gebraucht werden darf, hängt von deren Erlaubtheit ab (vgl. D 2126-28). - Wer unwahrhaftig schwört (falscher E., Meineid, periurium, durch Beschwören einer Aussage, die er selbst für unrichtig hält, od. eines Versprechens, durch das er sich nicht verpflichten od. das er nicht halten will), frevelt gegen Gott, den er zum Helfer einer Lüge machen möchte, u. schädigt die Gemeinschaft, da er das letzte Mittel zur Erforschung der Wahrheit entwertet u. so das Mißtrauen unter den Menschen erhöht (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.98 a.1; D 2124). Die Hl. Schrift verurteilt den Meineid eindeutig: "Ihr sollt nicht bei meinem Namen falsch schwören, so daß du den Namen deines Gottes entweihest" (Lev 19,12; vgl. Sach 8,17; Mal 3,5; 1 Tim 1,10). Das kirchl. Gesetz wendet sich gegen den Meineid mit Strafen (CICc. 1757 §2 n.1; c. 1795 §2; c. 2323). - Dem falschen kommt der fingierte E. nahe. Wenn durch ihn etwas Falsches bekräftigt werden soll, enthält er ebenfalls eine schwere Verunehrung Gottes, der, wenn auch nur dem Schein nach, zum Helfer einer Lüge gemacht werden soll. Jesus tadelt die fingierten E.e der Pharisäer schwer (Mt 23,16-22). Auch die Kirche verurteilt das Schwören zum Schein (D 2125). Die Schuld eines schweren od. eines fingierten E.es kann sehr gemindert sein, wenn er durch ungerechte Bedrohung erpreßt wurde; die Hauptschuld liegt dann auf seiten des Erpressers.

Außer von der Wahrheit hängt die Zulässigkeit des E.es von der Erlaubtheit der beschworenen Sache ab: Der Schwörende handelt nur dann einwandfrei, wenn er seine Aussagen od. sein Versprechen machen darf (vgl. Augustinus, Contra mend. 9,22, PL 40,531 f). Staatsregierungen haben einen Anspruch auf Treue u. Gehorsam ihrer Bürger u. können sie sich bei Bedarf auch eidl. versprechen lassen; niemals aber kann der Schwörende durch einen solchen E. auf sittl. Unerlaubtes verpflichtet werden (vgl. Pius XI., Enz. "Non abbiamo bisogno", AAS 1931,306). Wer beim Aussage-E. etwas offenbart, was er nicht mitteilen darf, od. beim Versprechens-E. die Verpflichtung zu etwas Unerlaubtem auf sich nehmen will, verunehrt damit zugleich Gott. Endl. ist der E. nur dann sittl. in Ordnung, wenn für ihn ein wichtiger Grund besteht. Zu erstreben ist ein Zustand, in dem alle immer so zur Wahrheit stehen, daß man ihrem einfachen Wort vertrauen kann u. einen E. nicht braucht. Der E. ist Notmittel u. soll tatsächl. nur im Fall der Notwendigkeit verwendet werden (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.95 a.5). Einen Mangel an Ehrfurcht vor Gott verrät, wer leichtfertig schwört (vgl. Sir 23,9 f).


5. Ähnl. wie die Verpflichtung des Gelübdes kann auch die eines Versprechens-E.es aufhören (CICc. 1319), a) durch Wegfall des Zweckes od. der Bedingung, unter der der E. geleistet wurde, b) durch wesentl. Änderung der versprochenen Sache c) durch Verzicht dessen, dem das Versprechen gemacht wurde, d) durch Irritation, Dispens, Tausch, zu denen dieselben Personen wie beim Gelübde berechtigt sind.


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