Gelegenheit (zur Sünde)
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 577 f


Zum Entstehen der Sünde, trägt die G. (occasio) bei, d.h. äußere Gegebenheiten, die die Sünde als leicht durchführbar erscheinen lassen. Je nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit, daß es zur Sünde kommt, bezeichnet man die Gefahr, die eine G. mit sich bringt, als nächste od. entfernte Gefahr; dieselben äußeren Gegebenheiten können für verschiedene Menschen je nach deren Verfassung nächste, entfernte od. keine Gefahr sein.


Aus der Pflicht zur sittl. richtigen Lebensführung folgt die Pflicht, die G. zur Sünde nach Möglichkeit zu meiden, vor allem die nächste G. zur schweren Sünde. Wer ihr nicht aus dem Weg geht, obwohl er kann, zeigt eine zu geringe Entschiedenheit im Bemühen um die Erfüllung seiner sittl. Aufgabe. "Wenn dich nun deine Hand od. dein Fuß ärgert, so hau ihn ab u. wirf ihn von dir ... Und wenn dich dein Auge ärgert, so reiß es aus u. wirf es von dir" (Mt 18,8 f). Wer es aus entsprechend wichtigem Grund verantworten kann, sich der nächsten G. zur schweren Sünde auszusetzen (Handlung mit zweierlei Wirkung), muß darum bemüht sein, die Gefahr der G. zu entschärfen (Bemühen um die rechte innere Haltung durch tragfähige Motivierung, Ablenkung durch Aufmerksamkeit, Gebet usw.). Dieses Bemühen ist auch dann bes. notwendig, wenn jemand sich zwangsweise in solcher G. befindet (notwendige G.).


Auch in eine entfernte G. zur schweren od. eine nächste Gelegenheit zur leichten Sünde soll man sich nicht ohne vernünftigen Grund begeben, doch rechtfertigen leichtere Gründe das Wagen solcher Gefahren. Allen Gefahren ganz ausweichen kann der Mensch nicht ("sonst müßtet ihr ja aus der Welt hinausziehen", 1 Kor 5,10). Er wird sich in ihnen umso eher bewähren, je mehr er allg. mit der Gnade Gottes um seine sittl. Festigung bemüht ist.


Die Nächstenliebe verbietet es, dem Mitmenschen leichtfertig od. gar in Verführungsabsicht eine G. zur Sünde zu bieten. Es kann jedoch triftige Gründe dafür geben, eine solche G. zu schaffen od. bestehen zu lassen, natürl. ohne Verführungsabsicht (Handlung mit zweierlei Wirkung).


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