Gelübde
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 579-587


1. Das G. (von geloben = versprechen; lat. votum) ist ein aus freien Stücken Gott gemachtes Versprechen, durch das sich der Mensch zur Verwirklichung eines sittl. Wertes in bestimmter konkreter Gestalt, gegebenenfalls auch in Verbindung mit einer Sachleistung, verpflichtet (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.12; CICc. 1037 § 1; c. 1038 § 4). Vom bloßen Vorsatz (dem Willen, etwas zu tun od. zu lassen, wobei über eine etwa schon bestehende Verpflichtung hinaus nicht eine neue geschaffen wird) unterscheidet sich das G. dadurch, daß sich der Gelobende neu binden will.


2. Mit der Verwirklichung sittl. Werte, letztl. der Liebe, trägt der Mensch zum volleren Aufleuchten der Herrlichkeit Gottes bei. Durch die Ausrichtung darauf hin wird das G. zur Betätigung der Gottesverehrung. Das kann es natürl. nur sein, wenn sich der Mensch dadurch wirkl. an Gott hingeben, nicht aber, wenn er über Gott verfügen od. durch Leistung etwas von Gott erkaufen will.


Von der Hl. Schrift wird das G. als gutes Tun aufgezeigt: "Weiht G. Jahwe, eurem Gott, und löset sie ein", Ps 75 [76],12; vgl. Ps 60 [61],6; Nah 2,1). Als Muster kann das G. gelten, durch das Jakob seine Bitte unterstreicht u. sich zum Dank bereit erklärt, da er für den Fall guten Geleites Gott die Errichtung eines Heiligtums u. die Entrichtung des Zehents verspricht (Gen 28,20-22). Paulus macht, vermutl. aus Dankbarkeit für den guten Erfolg der korinthischen Mission, ein G. (Apg 18,8) u. beteiligt sich später an einem Nasiräer-G. (Apg 21,23 f.26).


Die christl. Tradition steht dem G. freundl. gegenüber. "Jeder gelobe und leiste, was er kann. Gelobet nicht, ohne es zu leisten; jeder gelobe vielmehr und leiste, was er kann. Seid nicht faul zu geloben; ihr werdet es nämlich nicht mit euren Kräften erfüllen" (Augustinus, In Ps 75 en. 16; vgl. In Ps 131 en. 1; Ambrosius, De off. III 12,76-81; PL 36,967; 37,1717; 16,176 ff). Im besonderen zeigt die Geschichte der Verwirklichung der ev. Räte im Ordensleben die Hochschätzung der G.


Die Kirche hat den Wert des G.s gegenüber den Reformatoren (Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen; Calvin, Inst. IV 13) mit aller Entschiedenheit verteidigt (Konz. v. Trient, D 1622; vgl. D 2203 2265). Heute ist das G. in ev. Ordensgemeinschaften wieder zu Ehren gekommen.


Selbstverständl. kann Gott durch ein G. des Menschen ebensowenig gewinnen wie durch sonstige Übungen der Gottesverehrung. Der Mensch aber wird durch das G. fester an den sittl. Wert u. in ihm an Gott gebunden (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.4). Von dieser Bindung sagt Augustinus: "Selig die Notwendigkeit, die zum Besseren antreibt" (Ep. 127,8; PL 33,487). "Was geleistet wird, bringt dem Leistenden einen Zuwachs" (Ep. 127,6; PL 33,486).


3. Jedes richtige G. verpflichtet wie sonst ein gültiges Versprechen den Gelobenden zur Erfüllung (Treue), freil. mit der eigenen Note der Verehrung Gottes, dem der Gelobende sich ja in besonderer Weise hingeben will (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.3; CICc. 1307 § 1). "Wenn du Jahwe, deinem Gotte, ein G. machst, so säume nicht, es zu erfüllen. Denn Jahwe, dein Gott, würde es streng von dir fordern, und Schuld würde an dir haften" (Dtn 23, 22; vgl. 23,24; Num 30,3-5.7 f.10-12; Koh 5,3 f). Auch die Tradition betont diese Pflicht (vgl. Augustinus, De coniug. ad. I 30; PL 40,468).


Das G. bindet an sich nur den Gelobenden (CICc. 1310 § 1). Niemand kann ja in einer Sache, die der Freiheit des Menschen überlassen ist, für einen anderen eine Verpflichtung eingehen. Wenn das Gelübde jedoch eine Sachleistung betrifft, könnte nach der Absicht des Gelobenden die Verpflichtung dazu auf Personen übergehen, die von ihm Sachwerte übernehmen (vgl. CICc. 1310 § 2).


Aus verschiedenen Gründen kann die Notwendigkeit eintreten, nach dem genauen Ausmaß der Verpflichtung eines G.s zu fragen. Da die Verpflichtung in der Absicht des Gelobenden ihren Ursprung hat, ist diese Absicht die erste Richtschnur der Interpretation. Weitere Hilfen können die Besinnung auf das Wesen des G.s, die Gewohnheit der Kirche, die allg. Gewohnheit sein.


So bindet ein unter einer Bedingung gemachtes G. gemäß dem Willen des Gelobenden nur nach Eintritt der Bedingung (vgl. Gen 28,21 f).


Wenn der Gelobende einen Zeitpunkt für die Erfüllung festgesetzt hat, ist er zu dieser Zeit dazu verpflichtet. Sonst soll er trachten, das Gelobte zu leisten, sobald es ohne größere Schwierigkeit geschehen kann (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.3 ad 3). Im Fall der verschuldeten od. unverschuldeten Nichterfüllung zum festgesetzten Zeitpunkt erlischt jede weitere Verpflichtung, wenn der Gelobende sich ausdrückl. nur für den Zeitpunkt verpflichten wollte (ad finiendam obligationem), nicht aber, wenn er mit dem Zeitpunkt nicht eine Grenze der Verpflichtung setzen wollte (ad urgendam obligationem; vgl. CICc. 1311). Der sittl. Ernst verbietet es, die Erfüllung eines G.s solange hinauszuschieben, bis sie unmögl. wird od. an Wert verliert.


4. Verpflichten kann nur ein gültiges G. Die Gültigkeit hängt von verschiedenen Voraussetzungen auf seiten des Gelobenden u. auf seiten des gelobten Tuns ab.


a) Der Gelobende muß wissen, was er gelobt, u. die Absicht haben, es zu geloben (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. q.88 a.1).

Die genügende Kenntnis (deliberatio) des Gegenstandes des G.s ist notwendig, da sich niemand vernünftigerweise zu einer Sache verpflichten kann, die er nicht kennt. G., deren Gegenstand nach seiner Tragweite nicht erfaßt werden kann (im Kindesalter, in halber Benommenheit, in Unwissenheit), verpflichten nicht. Die Kirche erklärt die Ablegung von zeitl. Ordens-G.n vor Vollendung des 16. Lebensjahres, von ewigen vor Vollendung des 21. Lebensjahres für ungültig (CICc. 573; vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.9). Ein G., bei dem aus guten Gründen im nachhinein bezweifelt wird, ob es genügend überlegt war, ist als ungültig zu betrachten. - Zum G. erforderl. u. ausreichend ist die Kenntnis der Sache dem Wesen nach, wenn auch einzelne Nebenumstände nicht erfaßt werden. Ein Irrtum macht das G. ungültig, wenn er das Wesen der Sache od. einen wesentl. Umstand (z.B. den einzigen Hauptzweck) betrifft (bei richtiger Erkenntnis hätte der Gelobende das G. nicht gemacht).


Auch bei genügender Kenntnis des Gegenstandes kann ein G. nur dann eine Verpflichtung schaffen, wenn der Gelobende die Absicht (intentio) hat, wirklich ein verpflichtendes G. abzulegen. Er kann diese Absicht nicht haben, wenn ihm die Fähigkeit der freien Entscheidung fehlt. Schwere Furcht z.B. könnte diese Fähigkeit nehmen; ein in solcher Unfähigkeit abgelegtes G. wäre ungültig. Darüber hinaus behandelt die Kirche jedes G. als ungültig, das dem Gelobenden von einem anderen durch ungerechte Erregung schwerer Furcht abgenötigt wurde (CICc. 1307 § 3); dabei fehlt es ja an der wahren Absicht des Gelobens.


b) Ein G. ist nur dann gültig, wenn sein Gegenstand (das gelobte Tun) mögl. u. sittl. gut ist u. nicht etwas Besseres verhindert ("de bono possibili et meliore", CICc. 1307 § 1).


Das Erfordernis der Möglichkeit ergibt sich daraus, daß das Versprechen einer unmögl. Sache ein Unsinn ist, auf dem nicht eine Verpflichtung aufbauen kann. Dies leuchtet für das physisch Unmögliche ein, d.h. für das, was überhaupt nicht geschehen kann; aber auch für das moralisch Unmögliche, d.h. für das, was nur unter großen Schwierigkeiten geschehen kann, muß man es anerkennen, weil in den meisten Fällen der Gelobende dadurch übermäßig belastet würde, außer er wollte sich ausdrückl. gerade zu dieser schwierigen Leistung verpflichten. Wenn sich das gelobte Tun teils als mögl., teils als unmögl. herausstellt, hängt die Verpflichtung auf das Mögliche davon ab, ob dieses einen Sinn hat u. ob sich der Gelobende auf das Mögliche verpflichten wollte (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.3 ad 2).


Selbstverständl. muß der Gegenstand des G.s sittl. gut sein. Der Mensch kann nur durch ein solches Verhalten Gott ehren, das dem Willen Gottes entspricht u. dadurch die Eigenart Gottes, letztl. seine Liebe, aufleuchten läßt (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.2; Augustinus, De coniug. ad. I 30; PL 40,468). Ein G. über eine in ihrer konkreten Gestalt sittl. indifferente Sache trägt nichts zur Gottesverehrung bei u. ist deshalb als ungültig, ja als leichte Verunehrung Gottes anzusehen. Mehr noch verunehrt der Mensch Gott durch ein G. über ein seiner Beschaffenheit nach böses Tun od. ein Tun, das von einer bösen Zielsetzung ("damit der geplante Diebstahl gelingt") od. einem bösen Umstand ("wenn mir der Diebstahl gelingt") beherrscht wird. Im AT wird z.B. die Erfüllung eines G.s mit Geld, das durch Unzucht erworben wurde, abgelehnt (Dtn 23,19). Jesus wendet sich gegen G., durch die man sich natürlicher Pflichten wie der Sorge für Vater und Mutter entledigen will (Mk 7,9-13).


Schließl. trägt der Gegenstand des G.s nur dann zu einer besonderen Ehrung Gottes, d.h. zu einem helleren Aufleuchten seiner Eigenart, bei, wenn er nicht etwas Besseres verhindert. Man ist nicht verpflichtet, ein G. zu machen ("Wenn du näml. davon absiehst, etwas zu geloben, haftet an dir keine Schuld", Dtn 23,23; vgl. Koh 5,4). Wenn man jedoch ein G. macht, soll es sinnvoll sein, d.h. einen höheren Wert zum Inhalt haben. "Gut" u. "Besser" sind dabei nach den konkreten Gegebenheiten des Gelobenden (Situation) zu bestimmen. Eine ohnehin gebotene Sache kann auch durch ein G. versprochen werden (vgl. die Tauf-G.), da sie nicht etwas Besseres verhindert, sondern dafür die unentbehrl. Grundlage schafft; ein solches G. hätte den Sinn, das gebotene Verhalten ausdrückl. in die Gottesverehrung einzubeziehen u. die Bereitschaft zu ihr zu bestärken. Das eigentl. Gebiet des G.s machen aber die "Werke der Übergebühr" aus, die über das allg. zum Heil Notwendige hinausgehen (Räte; vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.2).


5. Die Verpflichtung eines G.s kann aus verschiedenen Gründen aufhören.


a) Sie erlischt einfach (vgl. CICc. 1311) 1. durch Ablauf der vorgesehenen Zeit, 2. durch wesentl. Änderung der Umstände, die bewirkt, daß die gelobte Sache physisch od. moralisch unmöglich od. sittl. unerlaubt wird od. etwas Besseres verhindert, 3. durch Wegfall einer Bedingung, von der das G. abhängig gemacht wurde, 4. durch Wegfall des einzigen od. des Hauptzweckes, um dessen willen das G. gemacht wurde.


b) Wenn der Gelobende beim Geloben irgendwie von einem anderen abhängig ist, kann dieser sein G. aufheben (Irritation). Die Abhängigkeit kann die Person des Gelobenden od. die gelobte Sache betreffen (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.8).


Soweit Menschen das Recht haben, über die Lebensgestaltung anderer zu entscheiden, können sie gegen deren G. Einspruch erheben u. sie so schlechthin aufheben (direkte Irritation; vgl. CICc. 1312 § 1). Solches Entscheidungsrecht hat der Vater (u. jeder, der in der Leitungsgewalt an seiner Stelle steht) über seine Kinder, solange sie auf seine umfassende Leitung angewiesen sind (vgl. Num 30,4-6). Je mehr diese aber zu selbständiger Lebensgestaltung fähig werden, umso mehr entwachsen sie auch seiner Befehlsgewalt hinsichtl. ihrer G. Gatten unterstehen einander nicht in dieser Weise (vgl. D 3709), können sich aber mit Recht der Erfüllung unkluger G. ihrer Partner entgegenstellen, durch die das Familienleben beeinträchtigt wird. Ordenspersonen haben sich ihren Vorgesetzten so unterstellt, daß sie nur mit deren Zustimmung G. machen können u. vor der Profeß gemachte G. auf die Dauer der Ordenszugehörigkeit von den Oberen außer Kraft gesetzt werden können; ausgenommen sind die wesentl. Ordens-G. selbst, die damit verbundenen G. u. das G., in einen strengeren Orden überzutreten (vgl. CICc. 1315). Die Ausführung eines G.s über eine Sache, die einem anderen untersteht, kann dieser andere behindern, solange er in der Ausführung einen Nachteil für sich erblickt (indirekte Irritation; vgl. CICc. 1312 § 2). Schon das AT ließ privatrechtl. Bindungen u. Besitzverhältnisse durch G. nicht zerstört werden (vgl. Num 30,7-9.11-16).


c) Kirchl. Obere dispensieren in der Ausübung der Lösegewalt der Kirche aus triftigem Grund von der Bindung durch das G., näml. in Fällen, in denen sich zeigt, daß wegen besonderer Schwierigkeiten die versprochene Sache für den Menschen, der das G. abgelegt hat, sich nicht als Gegenstand eines verpflichtenden G.s eignet (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.10). Ohne einen solchen Grund würde eine Dispens zu Unrecht erteilt u. würde sie einem Dispensierten nicht das Recht geben, sich im Gewissen als von der Verpflichtung frei zu betrachten. Wenn G. zugunsten anderer gemacht wurden u. diese die Begünstigung angenommen haben, sind bei etwaiger Dispens auch ihre Interessen zu berücksichtigen.


Bei manchen G.n ist wegen ihrer besonderen Bedeutung die Dispens dem Apost. Stuhl vorbehalten (reserviert; CICc. 1308 § 3). Dazu gehören alle öffentl. G., d.h. alle, die im Namen der Kirche von den zuständigen kirchl. Oberen entgegengenommen werden (c. 1308 § 1), u. von den nichtöffentl. (privaten) zwei, wenn sie absolut (ohne Bedingung) u. nach Vollendung des 18. Lebensjahres abgelegt werden: das G. der vollkommenen u. immerwährenden Keuschheit u. das G., in einen Orden mit feierl. G.n einzutreten (c. 1309; kirchenrechtl. werden die Ordens-G. in feierliche u. einfache geschieden: das einfache G. macht die entgegenstehende Handlung nur unerlaubt, das feierliche auch ungültig; so liegt in den feierl. G.n eine vollkommenere Hingabe an Gott; vgl. CICc. 579; c. 1308 § 2; Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.88 a.7 ad 1). Die Ortsordinarien können von reservierten G.n nur bei dringender Notwendigkeit dispensieren, wenn Gefahr schweren Schadens im Verzug ist u. der Papst nicht gleich angegangen werden kann (c. 81).


Von den nichtreservierten G.n können außer dem Papst der Ortsordinarius seine Untergebenen u. die auf seinem Gebiet lebenden Fremden u. der höhere Obere eines von der bischöfl. Leitungsgewalt ausgenommenen (exemten) Ordens kraft päpstlicher Bevollmächtigung seine Untergebenen dispensieren (c. 1313 nn. 1.2).


Die vom Apost. Stuhl Bevollmächtigten sind zum Dispensieren nach dem Umfang ihrer Vollmacht befugt (c. 1313 n. 3).


d) Schließl. kann die Verpflichtung eines G.s dadurch aufhören, daß ein anderes an seine Stelle gesetzt wird (Tausch).


Zum Tauschen ist bei nichtreservierten G.n der Gelobende selbst berechtigt, falls er an die Stelle des versprochenen Tuns ein (hinsichtl. der Förderung seiner Hingabe an Gottes Ehre) gleichwertiges od. besseres setzen will. Eine Ausnahme bilden nur die G. zugunsten anderer Personen, die angenommen haben, da bei ihnen deren Zustimmung eingeholt werden muß. Die Vertauschung gegen etwas Gleichwertiges soll nicht ohne vernünftigen Grund geschehen, während der Übergang zum Besseren in sich genügender Rechtfertigungsgrund ist. Beim Tausch gegen eine geringere Sache wird ein Teil der Verpflichtung aufgehoben; daher ist dazu jener befugt, der Dispensgewalt hat (c. 1314). Reservierte G. können nur durch den Apost. Stuhl vertauscht werden (c. 1308 § 3).


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