Sterilisation, B.
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 1509-1513


B. Moraltheol.


Zur sittl. Prüfung der Frage nützt die Unterscheidung von direkter u. indirekter S. (wobei zu beachten ist, daß es Fälle gibt, in denen die Übergänge fließend werden).


I. Als indirekt wird die S. bezeichnet, wenn der Handelnde durch sie die Zeugungsunfähigkeit zwar bewirkt, ohne diese jedoch zu beabsichtigen; es geht ihm vielmehr um andere Wirkungen der Maßnahme. Falls diese Wirkungen in sittl. Beurteilung als gut anzusehen sind u. über die nachteiligen Wirkungen deutl. das Übergewicht haben, kann ein derartiger Eingriff als sittl. zulässig bezeichnet werden (Handlung mit zweierlei Wirkung). "Die Kirche hält jene therapeutischen Maßnahmen, die zur Heilung körperlicher Krankheiten notwendig sind, nicht für unerlaubt, auch wenn daraus aller Voraussicht nach eine Zeugungsverhinderung eintritt. Voraussetzung dabei ist, daß diese Verhinderung nicht aus irgendeinem Grunde direkt angestrebt wird" (Paul VI., HV 15; vgl. Pius XII., UG 2318-20 5452).

Die therapeutische (indirekte) S. kommt ihrem Begriff nach nur für Menschen in Betracht, bei denen durch sie ein gesundheitl. Schaden behoben od. gemildert werden soll (etwa Entfernung eines Krebsherdes, die zugleich die Unterbrechung der Samenwege od. der Eileiter mit sich bringt).


II. Um direkte S. handelt es sich, wenn der Eingriff in der Absicht vollzogen wird, Zeugungsunfähigkeit zu bewirken.


1. Die zu klärende Frage heißt, ob durch das Ganzheitsprinzip nicht nur die indirekte, sonder auch die direkte S. manchmal gerechtfertigt werden kann; ob also die absichtl. Ausschaltung der Fruchtbarkeit derart zum Wohl der Gesamtperson beitragen u. darin durch keine harmlosere Maßnahme ersetzt werden kann, daß sie sittl. zulässig wird.


a) Die (nicht in unfehlbarer Form abgegebenen) kirchl. Lehräußerungen scheinen dazu ein eindeutiges Nein zu sagen. Sie reichen von Pius XI. (D 3763 3788) über Pius XII. (UG 1065 1138 2322 5451 f) bis zu Paul VI. (HV 14) u. umfassen nicht nur die chirurgische Dauer-S., sondern auch die S. auf Zeit u. durch andere (z. B. hormonale) Mittel.


b) Zu fragen bleibt jedoch, ob dieses Nein wirkl. so ausnahmslos gilt, wie es zunächst den Anschein hat. Angesehene Moraltheologen (P. Palazzini - F. X. Hürth - F. Lambruschini, M. Zalba, J. Fuchs) haben die zeitweilige Ausschaltung der Fruchtbarkeit der Frau zur Verhütung der Folgen einer drohenden Vergewaltigung, gegen die keine wirksame Hilfe zur Verfügung steht, für zulässig gehalten. Das kirchl. Lehramt ist diesen Theologen nicht entgegengetreten. Die Begründung für die Zulässigkeit solcher absichtl. (= direkter) Ausschaltung der Fruchtbarkeit liegt offenkundig darin, daß dieser Eingriff den Charakter einer Schutzmaßnahme hat: Die Frau sterilisiert ihren Organismus, um, wenn sie sich schon der Schädigung ihres leibseelischen Wohles durch den erzwungenen Verkehr nicht erwehren kann, nicht für eine noch größere Schädigung ihres leibseelischen Ganzen anfällig zu sein.


c) Wenn diese Auskunft richtig ist, gibt es offenkundig Arten der direkten S., die sittl. zulässig sind. Von den Arten, zu denen der Mensch durch sein Verfügungsrecht über seinen Körper nicht ermächtigt ist, sind andere zu unterscheiden, die dem Menschen als seiner personalen Ganzheit dienend zustehen können. Die Aussagen des kirchl. Lehramtes, durch die die direkte S. verurteilt wurde, bedürfen dann einer genaueren Fassung, weil in ihnen manche Problemstellungen noch nicht genügend berücksichtigt wurden (im besonderen ist zu fragen, ob u. wie weit die Verurteilung der direkten S. in HV 14 differenziert werden muß u. wie die berechtigten Anliegen von HV zutreffender auszudrücken sind).


c 1.) Von daher kann man zur Frage ansetzen, welche Arten der direkten S. als der personalen Ganzheit dienend zulässig sein könnten. Im Anschluß an den erwähnten Fall der drohenden Vergewaltigung meinen z.B. manche Theologen, das Recht des Selbstschutzes durch zeitweilige hormonale S. auch der Ehefrau gegenüber ihrem Gatten zusprechen zu können, wenn dieser sie in unverantwortl. Weise zum Verkehr nötigt.


c 2.) Hinsichtl. der Dauer-S. durch chirurgischen Eingriff ist zu beachten, daß sich auch heute nur in einem geringen Teil der Fälle die Operation im Sinn nicht bloß der Rekanalisierung, sondern der Refertilisierung rückgängig machen läßt. Für Sterilisierte können sich schwere Belastungen ergeben, wenn sie durch beträchtl. Änderung ihrer Lebensverhältnisse dazu gelangen, ein Kind zeugen zu wollen, u. dieser Wunsch nicht erfüllt werden kann. Große Umsicht erfordert daher die Frage, ob durch das Interesse des ganzpersonalen Wohles die chirurgische S. auch dann gerechtfertigt werden kann, wenn Gatten (aus medizinischen, eugenischen, wirtschaftl., sozialen Gründen) meinen, die Zeugung eines (weiteren) Kindes nicht verantworten zu können, u. die (zeitweilige od. dauernde) Enthaltung vom Geschlechtsverkehr zwar mit äußerster Anstrengung noch zustande bringen, jedoch nur unter psychischen Störungen u. dadurch zum beträchtl. Schaden für Ehe u. Familie (wenn also von moralischer Unmöglichkeit der Enthaltung gesprochen werden kann).


c 3.) Zu überlegen ist auch, ob der Rückgriff auf das Ganzheitsprinzip die absichtl. Ausschaltung einer Fruchtbarkeit rechtfertigen kann, die insofern als abnormal erscheint, als sie der Frau zwar ermöglicht, ein Kind zu empfangen, nicht jedoch, das empfangene Kind zur Reife zu bringen (z.B. weil als Folge mehrerer Kaiserschnitte die hohe Gefahr einer Uterusraptur besteht). Für die Zulässigkeit spricht die Erwägung, daß mit der Unterdrückung einer Empfängnisfähigkeit, die nicht mehr zu einem lebensfähigen Kind führen kann, der Frau nicht etwas Wertvolles genommen wird, ihr aber die für ihre personale Ganzheit bedeutsame Möglichkeit geboten wird, den ehel. Verkehr zu pflegen.


c 4.) Viel tiefer greift die chirurgische Unfruchtbarmachung in das Menschenleben ein, wenn sie in Form der Kastration geschieht.


2. Zur Dauer-S. sollte man auf keinen Fall rasch seine Zuflucht nehmen. Abgesehen davon, daß gegen diesen Eingriff andere bedeutende Bedenken sprechen, bleibt zu beachten, daß es des Menschen nicht würdig wäre, sich jeglicher Mühe um Beherrschung durch S. entledigen zu wollen (vgl. D 3716). Zu seiner sittl. Aufgabe gehört es vielmehr, seine Geschlechtlichkeit u. all seine Triebe durch entsprechend motiviertes Bemühen in eine richtige Gesamtlebensordnung einzufügen.


3. Die Personwürde des Menschen, der für eine S. in Betracht kommt, ist noch in einem anderen Sinn zu beherzigen: Unter der Voraussetzung, daß er entscheidungsfähig ist, soll ihm die S., auch wenn sie sich in gesamtpersonaler Sicht verantworten läßt, nicht aufgenötigt werden, sondern nur durchgeführt werden, wenn er sich selbst für sie entscheidet. Nur für Entscheidungsunfähige dürften jene gewissenhaft entscheiden, die für sie Verantwortung tragen.


4. Die S. als Strafe für Sexualverbrecher (um ihnen ein Bestehen in der Gesellschaft zu ermöglichen u. die Gesellschaft vor ihnen zu schützen) käme nur in Form der Kastration in Betracht; ihre Sinnhaftigkeit ist an Hand der Erfahrung zu überprüfen.


5. Somit erscheint es als vertretbare Meinung, daß nicht nur indirekte, sondern auch direkte S. manchmal zulässig sein kann, näml. dann, wenn in sorgfältiger Beurteilung aufgezeigt werden kann, daß durch keine andere Maßnahme dem ganzpersonalen Wohl des betreffenden Menschen so wirksam gedient werden kann wie durch die S. u. daß die daraus zu erwartenden Vorteile über die Nachteile deutl. das Übergewicht haben. Eine derartige "direkte" S. nähert sich den vom kirchl. Lehramt ausdrückl. als erlaubt bezeichneten "therapeut. Maßnahmen" an (vgl. HV 15).


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