Todesstrafe
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 1583-1589


Die Frage, ob man einen Verbrecher, d.h. einen Menschen, der die Gesellschaft schuldhaft schwer geschädigt hat, mit dem Tod bestrafen darf, wird verschieden beantwortet, von der leidenschaftl. Bejahung bis zur leidenschaftl. Verneinung. Gegen die T. scheinen weniger grundsätzl. Erwägungen als praktische Bedenken zu stehen.


1. Grundsätzl. kann man der Staatsgewalt nicht das Recht absprechen, im Interesse der öffentl. Ordnung, für die sie verantwortl. ist, gegen Verbrecher vorzugehen. Sie hat ja die Pflicht u. daraus entspringend das Recht, für jenen Bereich des Gemeinwohls zu sorgen, der öffentl. Ordnung genannt wird, u. alles dazu Notwendige zu unternehmen. Zweifellos gehört dazu die Ausübung der Strafgerechtigkeit. Zu fragen ist nun, ob in manchen Lagen die Strafgerechtigkeit die T. notwendig macht.

Die Staatsgewalt kann den Eindruck haben, daß in der gegebenen Lage eine größere Zahl von Menschen nur durch die T. von schweren Verbrechen abgeschreckt wird u. nur so für die öffentl. Sicherheit genügend gesorgt werden kann. Aus einer solchen Erwägung heraus haben des öfteren Staaten, die die T. abgeschafft hatten, in außerordentl. Notzeiten wieder auf sie zurückgegriffen. Mit der Abschreckung durch die T. rechnet man im AT (Dtn 13,12), u. auch Paulus verweist auf sie, wenn er von der staatl. Gewalt sagt: "Wenn du aber das Schlechte tust, so fürchte, denn nicht umsonst trägt sie das Schwert" (Röm 13,4). So mag die Staatsgewalt die Verhängung der T. als eine Art Notwehr der Gesellschaft gegen Verbrecher od. als Notstandsmaßnahme als gerechtfertigt, ja notwendig ansehen. Dabei kann sie auch das Ziel der Besserung mit im Auge behalten, wenn sie näml. unter Besserung in erster Linie die innere Sinnesänderung des Verbrechers versteht; Erfahrungsberichte sagen, daß viele zum Tod Verurteilte durch das Wissen um das nahe Ende aufgerüttelt u. geläutert wurden.

Im großen u. ganzen hat die Menschheit die T. für schwere Verbrechen als zulässig angesehen. Auch durch die Offenbarung wird sie nicht auf alle Fälle ausgeschlossen. Das AT, das den Grundsatz "Leben um Leben" lehrt (Dtn 19,21; vgl. Ex 21,23), setzt auf die Tötung eines Menschen die T.: "Wer Menschenblut vergießt, durch Menschen soll sein Blut vergossen werden" (Gen 9,6; vgl. Ex 21,12.14; Lev 24,17.21; Num 35,16-21; Dtn 19,11 f). Auch Paulus scheint die grundsätzl. Berechtigung der T. vorauszusetzen, da er die das Schwert tragende Staatsgewalt Gottes Dienerin nennt (Röm 13,4). Die christl. Tradition hielt an dieser Auffassung fest (vgl. Clemens v. Al., Strom. I 27; PG 8,917; Augustinus, De civ. D. I 21; PL 41,35; Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.64 a.2). Erst die Waldenser bestritten die Berechtigung der T. Im Glaubensbekenntnis, das ihnen Innozenz III. für ihre Versöhnung mit der Kirche vorschrieb, ist eine Stellungnahme zur T. enthalten: "Von der weltl. Gewalt versichern wir, daß sie ohne Todsünde das Blutgericht ausüben kann, wenn sie nur zur Verhängung der Strafe nicht aus Haß, sondern aus Gerechtigkeit, nicht unbedacht, sondern überlegt vorgeht" (D 795). Pius XI. u. Pius XII. nehmen vom Grundsatz der Unantastbarkeit des menschl. Lebens jene aus, die todeswürdige Verbrechen begangen haben (D 3720-22; UG 2228 2239 2363).

Der Verbrecher selbst beraubt sich durch sein Verbrechen des Lebensrechtes, als Folge nimmt ihm der Staat das Lebensgut (UG 2280).


2. Nach dem Urteil der Kirche lädt die Staatsgewalt, die die T. verhängt, nur unter bestimmten Voraussetzungen keine schwere Schuld auf sich: wenn sie gerecht u. vorsichtig vorgeht (non odio, sed iudicio, non incaute, sed consulte; D 795).


a) Wie bei jeder Strafe muß bei der T. gerecht vorgegangen werden: Sie darf nur für eine schuldhafte Tat verhängt werden, die in ihrer Schwere der Schwere dieser Strafe entspricht (nach dem AT soll das Blut dessen vergossen werden, der selbst Menschenblut vergossen hat; Gen 9,6). Nur wenn die Gerechtigkeit gewahrt wird, kann die T. dazu beitragen, in den Staatsbürgern die Überzeugung zu festigen, daß die sittl. Ordnung gilt (die letztl. in Gott verankert ist; Paulus sieht daher die Obrigkeit, die das Schwert trägt, als "Gottes Dienerin, Vollstreckerin des Zorngerichts für den, der das Schlechte tut", Röm 13,4); daß sich die Festigung dieser Überzeugung für das Gemeinwohl gut auswirkt, bedarf keines Beweises.

Die T. darf also als Sanktion nur für schwere Verbrechen vorgesehen werden, durch die das Gemeinwohl empfindl. geschädigt wird (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.66 a.6 ad 2; Pius XII., UG 408). Dazu müssen nicht zu allen Zeiten dieselben Taten gezählt werden; dasselbe Verbrechen kann zu verschiedenen Zeiten in verschiedenem Grad gemeinwohlschädl. sein. Mehr u. mehr setzt sich in der Menschheit die Überzeugung durch, daß nur der Mord mit dem Tod bestraft werden soll.

Die Festsetzung, ob u. für welche Verbrechen die T. zu verhängen sei, ist Sache des staatl. Gesetzgebers, der für die öffentl. Ordnung verantwortl. ist. Er hat sorgfältig zu prüfen, ob die gesellschaftl. Zustände im betreffenden Staat die T. erforderl. machen od. nicht u., wenn ja, welche Verbrechen darunter fallen sollen. Das Ergebnis der Prüfung kann sein, daß man die T. unter den gegebenen Verhältnissen nicht mehr braucht; in einem solchen Fall ist sie als überholt u. unzulässig anzusehen.

In Österreich wurde die T. im ordentl. Gerichtsverfahren 1950 durch die Strafe lebenslangen schweren Kerkers ersetzt, in der BRD wurde sie durch das Grundgesetz (Art. 102) abgeschafft.

Die Kirche anerkennt die Rechtmäßigkeit der T. unter entsprechenden Voraussetzungen, wirkt aber auf ihre Abschaffung hin, wo dadurch die öffentl. Ordnung nicht geschädigt wird.

So erklärt sie z.B. als zum Empfang u. zur Ausübung einer Weihe ungeeignet (irregulares ex defectu) den Richter, der ein Todesurteil gefällt hat, u. alle, die jemanden hingerichtet od. dabei freiwillig u. unmittelbar mitgeholfen haben (CICc. 984 nn. 6.7; vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.64 a.4). Dort, wo das Gesetz die T. vorsieht, entspricht dem Geist des Christentums die Begnadigung des Verurteilten, falls dadurch der Gesellschaft nicht ein Schaden droht (vgl. Augustinus, De mend. 14,25; PL 41,445; Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.67 a.4). Schon im AT nahm der König für sich das Begnadigungsrecht in Anspruch (vgl. 2 Sam 14,1-11). Dieses Recht des Staatsoberhauptes kann von besonderer Bedeutung werden, wenn das formale Gesetz, das die T. vorsieht, dem Einzelfall nicht ganz gerecht wird. Allerdings sollte die an Stelle der T. verfügte Freiheitsberaubung nicht vorzeitig aufgehoben werden; viele Wünsche, die T. solle festgehalten od. wieder eingeführt werden, würden verstummen, wenn die Allgemeinheit nicht den Eindruck hätte, Begnadigungen würden auf Kosten ihrer Sicherheit gewährt.

Das Christentum zielt natürl. auf solche gesellschaftl. Verhältnisse hin, in denen keine todeswürdigen Verbrechen mehr vorkommen u. sich die T. damit von selbst erübrigt.


b) Nicht nur die gesetzl. Verankerung (Gesetzgebung) der T. ist Sache des Staates, sondern auch ihre Verhängung im Einzelfall (Rechtssprechung), handelt es sich dabei doch um eine Angelegenheit von hervorragendem Interesse für die öffentl. Ordnung (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.64 a.3). Der Staat übt dieses sein Recht durch die Gerichte aus.


Augustinus nennt als zur Tötung von Verbrechern berechtigt jene, die die öffentl. Gewalt vertreten ("personam gerentes publicae potestatis", De. civ. D. I 21; PL 41,35; vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.64 a.3). Papst Alexander VII. lehnt die private Tötung von Übeltätern ab (D 2039), wäre sie doch eine Quelle neuen Übels. Blutrache ist nur dort in einem gewissen Ausmaß gerechtfertigt, wo noch keine staatl. Organisation besteht, die für den Rechtsschutz sorgt (vgl. Num 35,10-34).

Die Bedingung des gerechten u. vorsichtigen Vorgehens ist nur dann erfüllt, wenn der Angeklagte in einem richtigen Gerichtsverfahren, in dem er die Möglichkeit der Verteidigung hat, eines todeswürdigen Verbrechens überführt (vgl. die Forderung von zwei Zeugen, Num 35,30; Dtn 17,6) u. zum Tod verurteilt wird. Die Hauptverantwortung für die Hinrichtung liegt natürl. auf dem verurteilenden Richter, nicht auf dem ausführenden Henker (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.64 a.3 ad 1); der letztere ist allerdings im Gewissen verpflichtet, seine Mitwirkung zu verweigern, wenn er von der Unschuld des Verurteilten überzeugt ist (vgl. ebd. ad 3).

Die T. darf nur dann ausgesprochen werden, wenn die schwere Schuld des Angeklagten sicher ist, d.h. wenn nachgewiesen wurde, daß er sicher der Täter ist u. daß er das Verbrechen schwer schuldbar begangen hat (Anrechenbarkeit, vgl. Pius XII., UG 4572). Bei bloßer Wahrscheinlichkeit muß zur Vermeidung eines nicht wiedergutzumachenden Fehlgriffs zu seinen Gunsten entschieden werden. Eines der praktischen Hauptbedenken gegen die T. liegt in der häufig bestehenden Schwierigkeit, die erforderl. Sicherheit zu gewinnen.


3. Die Einwände, die man gegen die Berechtigung der T. vorbringt, scheinen nicht deren Unzulässigkeit für jeden Fall zu erweisen.


a) Man beruft sich auf das Tötungsverbot des Dekalogs. Dieses Verbot bezieht sich jedoch nur auf schuldloses Menschenleben, wie sich aus der Gesamtschau der Hl. Schrift, im besonderen des AT, ergibt (vgl. Augustinus, De lib. arb. I 4; PL 32,1226). Sprachl. läßt sich der Unterschied schon daraus erkennen, daß das Tötungsverbot ein anderes hebräisches Verbum (rasach) verwendet als die Bestimmung über die T. (qatal) ("Du sollst nicht morden!").


b) Wer die T. als Verstoß gegen die Menschenwürde ansieht, sollte darauf achten, daß der Übeltäter diese Würde zuerst schon von sich wirft (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.64 a.2 ad 3).


c) Der Behauptung, dem Verbrecher werde mit dem Vollzug der T. die Gelegenheit zur Besserung genommen, kann entgegengehalten werden, daß er sich im Anblick des bevorstehenden Todes bekehren kann u. daß das Interesse der Gesellschaft an der Beseitigung des Verbrechers vor dem Interesse an seiner Besserung den Vorrang haben kann (vgl. Thomas v. A., S.c.G. III 146,5).


d) Der Befürchtung, ein nicht wiedergutzumachender verhängnisvoller Fehler könne durch Verurteilung u. Hinrichtung eines Unschuldigen (Justizmord) begangen werden, versuchen andere mit der Forderung zu begegnen, die T. dürfe eben nur in solchen Fällen verhängt werden, in denen jegl. Unsicherheit ausgeschlossen werden kann.


e) Der Behauptung, die T. sei unmenschl., steht die Behauptung gegenüber, lebenslängl. Freiheitsberaubung sei in ihrer Eintönigkeit noch härter. Außerdem macht man geltend, daß allzu große Rücksicht auf den Verbrecher Unmenschlichkeit gegenüber seinen Opfern bedeuten kann.


f) Wer die T. im Widerspruch zum Kulturfortschritt sieht, müßte überlegen, worin der Kulturfortschritt besteht. Wenn sein Wesen in der sittl. Entfaltung des Menschen liegt, wäre zu prüfen, ob in gewissen Situationen die T. dazu eine unentbehrl. Hilfe sein kann.


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