Willensfreiheit
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1969, Sp. 1354-1364


Echte Sittlichkeit hat die W. zur Voraussetzung. Der Bereich des Sittlichen deckt sich mit dem des freien Willens. Außerhalb des Bereiches des freien Willens gibt es keine Sittlichkeit. Wer dem Menschen die W. bestreitet (Determinismus), will ihm den Charakter eines sittl. Wesens nehmen.


1. Wenn man dem Menschen die W. zuspricht, behauptet man, daß er beim Vorhandensein aller zum Handeln erforderl. Bedingungen doch nicht zum Handeln od. zu einem bestimmten Handeln genötigt ist, sondern sich selbst bestimmen (determinieren) kann. Zum Begriff der W. gehören also ein negatives u. ein positives Element. Das negative besteht im Freisein v. innerer Nötigung: Der Wille ist nicht v. einer inneren Gewalt darauf festgelegt, sich zu regen od. sich in einer bestimmten Richtung zu regen. Eine solche Festlegung gibt es im menschl. Willen nur hinsichtl. des Guten im allg.: Er kann etwas nur wollen, wenn es ihm als gut erscheint (die formale Seite des menschl. Willens ist festgelegt); der Wille kann aber selbst entscheiden, an welchen Stellen er das Gute sucht (nach der materialen Seite ist der Wille frei). - Freisein v. innerer Nötigung genügt nicht zur Begründung der W., dazu bedarf es des positiven Elements der Selbstbestimmung (vgl. 2. Vat. Konz., GS 17; DH 2 11).

Häufig sucht man die W. mit dem Hinweis auf die äußere Gewalt, der der Mensch unterworfen werden kann, in Frage zu stellen. Darin liegt aber ein Mißverständnis: Äußere Gewalt kann wohl die Ausführung dessen verhindern, was der Mensch will, nicht aber sein inneres Wollen selbst nötigen; u. um dieses geht es hier.


2. Die Behauptung der W. stützt sich auf das natürl. Erkennen des Menschen (Vernunft) u. die Offenbarung.


a) Der Mensch erfährt durch sein eigenes Selbstbewußtsein, daß er in den meisten seiner Handlungen nicht v. innerer Nötigung geleitet wird, sondern sich selbst zum Handeln v. der u. der Art bestimmt (determiniert); er hat es in der Hand, nicht od. anders zu handeln. Ein Überlegen, Sichentschließen, Widerrufen eines Entschlusses hätte ohne W. keinen Sinn. Die moderne Willenspsychologie deckt die Stellen der menschl. Handlungskette auf, an denen der Wille bestimmend eingreifen kann. Auf dieser Erfahrung des Selbstbewußtseins baut die Überzeugung v. der W. in der ganzen Menschheit auf. Aus ihr heraus lobt man überall das Gute u. tadelt man das Böse, belohnt man Verdienste u. bestraft man Verbrechen, gibt man Gesetze, die ein Sollen aussprechen, unterscheidet man zwischen reinem Versehen u. schuldhafter Tat (vgl. Thomas v. A., S.Th. 1 q.83 a.1). Heute hat die Existenzphilosophie die freie Selbstverwirklichung des Menschen zu einem Hauptpunkt ihrer Lehre gemacht.


b) Die Offenbarung bekennt sich zu der durch die Erfahrung gesicherten W. Die Hl. Schrift setzt die W. überall dort als selbstverständl. voraus, wo sie gebietet od. rät, lobt od. tadelt, Lohn od. Strafe verheißt. An anderen Stellen redet die Schrift ausdrü ckl. v. jener Entscheidungsfreiheit, auf die es ihr vor allem ankommt, v. der Freiheit des Menschen, sich für od. gegen Gott zu entscheiden. Moses spricht zu Israel: "Ich rufe heute Himmel u. Erde wider euch zu Zeugen an: Leben u. Tod, Segen u.Fluch habe i ch dir vor Augen gestellt. So sollst du denn, daß du u. deine Nachkommen am Leben bleiben, das Leben wählen, indem du Jahwe, deinen Gott liebst, seiner Stimme gehorchst u. ihm anhängst" (Dtn 30,19 f).

"Wenn du willst, kannst du die Gebote halten, u. Treue zu üben liegt in deiner Macht. Hingeschüttet hat er vor dich Feuer u. Wasser, wonach dich verlangt, strecke deine Hand aus. Vor dem Menschen liegen Leben u. Tod, was er will, wird ihm gegeben" (Sir 15,15-17; vgl. 31,10; Jer 29,13 f; 66,4). Jesus klagt über Jerusalem: "Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, u. ihr habt nicht gewollt" (Mt 23,37). In der Möglichkeit des Menschen, sich auch Gott gegenüber frei zu entscheiden, leuchtet der letzte Sinn der menschl. W. auf: den Menschen zum Empfang jener höchsten Selbstmitteilung Gottes fähig zu machen, in der der Mensch zum liebenden persönl. Teilhaber an der Liebe des persönl. Gottes wird (vgl. 2. Vat. Konz., GS 17). Paulus sieht den Menschen ohne Christus schwach im Guten, spricht ihn deshalb aber nicht v. der Verantwortung für sein Versagen frei; das Alttestamentl. Gesetz bringt dem Menschen seine Schwäche u. sein Versagen (Sünde) mit aller Deutlichkeit zum Bewußtsein. Den Christen weiß der Apostel durch Christus gestärkt u. damit frei vom Ausgeliefertsein an die Sünde, an das atl. Gesetz, das die Forderungen Gottes zeigt, ohne zu ihrer Erfüllung zu helfen, an den Tod, der aus der Sünde entspringt (vgl. Röm 5,12-21; 7,7-25; Gal 2,15-21; 5,1). In dieser durch Christus gewährten Freiheit bleibt der Mensch aber der Sünde fähig u. ist er aufgerufen, durch eigene Entscheidung die Liebe zu verwirklichen, die ihm v. Gott als Bestimmung zugedacht ist: "Gewiß, zur Freiheit seid ihr berufen, Brüder! Nur macht die Freiheit nicht zum Stützpunkt des Fleischestriebes, dient vielmehr einander in Liebe. Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfült, näml.: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Gal 5,13 f; vgl. 1 Kor 6,12; 10,23; Röm 6,15).


Die christl. Tradition hält, wie nicht anders zu erwarten, an der W. fest. Augustinus setzt sich in seiner Frühzeit mit der Stoa auseinander (vgl. Contra academicos I 1,1, PL 32,905 f), mit deren Lehre vom strengen Naturzusammenhang allen Geschehens sich die W. schwer vereinen läßt. Später geht es ihm um das christl. Problem "Gnade u. W." (De libero arbitrio; De gratia et libero arbitrio; De correptione et gratia). Sosehr er die Gnade preist, fällt es ihm doch nicht ein, die W. anzuzweifeln. "Nichts ist sosehr in unserer Macht wie das Wollen" (De lib. arb. III 2, PL 32,1271). Diese Überzeugung gewinnt er aus der eigenen Erfahrung: "Wenn ich also etwas wollte od. nicht wollte, so war ich es, dessen war ich vollkommen sicher, u. nicht ein anderer, der wollte u. nicht wollte" (Conf. VII 3,5, PL 32,735). Aber auch die Offenbarung verbürgt ihm die W. (vgl. De gratia et lib. arb. 2, PL 44,882); selbst dem Gnadenwirken Gottes gegenüber sieht er den Menschen frei (vgl. De spir. et litt. 34,60; De contin. 16; PL 44,240; 40,359). Thomas v. A. findet: "Der Mensch unterscheidet sich v. den andern, den vernunftlosen Geschöpfen dadurch, daß er Herr seiner Taten ist" (S.Th. 1,2 q.1 a.1). Erst die Reformatoren geben unter dem Einfluß ihrer pessimistischen Erbsündenlehre u. Nurgnadenauffassung die W. in Dingen des Heils preis (vgl. Luther, De servo arbitrio); die Jansenisten folgen dieser Auffassung. Im kath. Bereich geht es in der Auseinandersetzung zwischen Thomismus u. Molinismus um die beiden Pole Gnade u. Freiheit, die beide feststehen, ohne daß ihr Verhältnis zueinander bis ins letzte geklärt werden könnte (vgl. D. 1797 2008 [1090 1097]). In der säkularisierten Neuzeit schiebt sich wieder eine andere Seite des Problems der W. in den Vordergrund: ihr Verhältnis zur mechanischen Kausalität.


c) Die Kirche hat sich gegenüber Leugnungsversuchen wiederholt für die W. eingesetzt (D 331 685 1177 1486 2812 [160a 348 607 776 1650]). Das Konz. v. Trient hat das Fortbestehen der W. im Stand der Erbsünde (D 1521 1555 [793 815]) u. selbst gegenüber dem auf die Rechtfertigung hinzielenden Gnadeneinfluß Gottes (D 1525 1554 [797 814]) klargestellt. Ähnl. Stellungnahmen wurden gegnüber M. de Bay (D 1927 f 1939-41 1966 [1027 f 1039-41 1066]), Jansen (D 2003 2301 2308 [1094 1291 1298]), Quesnel (D 2409-25 2438 [1359-75 1388]) u. der Synode v. Pistoia (D 2621 [1521]) notwendig. Das 1. Vat. Konz. lehrt, daß der Glaube nicht nur v. der Einsicht, sondern auch vom Wollen des Menschen abhängt, das der Gnade widerstehen kann (D 3008 3010 [1789 1791]; vgl. D 3875 f [2305]). "Der Mensch ist ein persönl. Wesen, mit Intelligenz u. freiem Willen begabt, ein Wesen, das letztl. selbst entscheidet, was es tut u. nicht tut" (Pius XII., UG 466 [DRM XV 349]). Nach Auffassung des 2. Vat. Konz. liegt das wahre Wesen des Menschen in seiner Innerlichkeit, seinem Herzen, "wo er selbst unter den Augen Gottes über sein eigenes Geschick entscheidet" (GS 14; vgl. 17). "Gott ruft die Menschen zu seinem Dienst im Geiste u. in der Wahrheit, u. sie werden deshalb durch diesen Ruf im Gewissen verpflichtet, aber nicht gezwungen. Denn er nimmt Rücksicht auf die Würde der von ihm geschaffenen menschl. Person, die nach eigener Entscheidung in Freiheit leben soll"(DH 11).


3. Die Gegner der W. werden zu ihrer Auffassung weniger durch die Erfahrung als durch Denkschwierigkeiten geführt, die sich für sie aus dem Begriff der W. ergeben: Sie paßt nicht in ihr zurechtgelegtes System.


Eine Hauptschwierigkeit ergab sich vom naturwissenschaftl. Denken her, das gewohnt war, alles Geschehen in einer streng notwendigen Abfolge v. Ursache u. Wirkung zu sehen. Für einen freien Willen, der sich anscheinend in ein solches System nicht einfügt, hat dieses naturwissenschaftl. Denken keinen Platz. Schon Kant hat mit dem Problem gerungen. Er steht einerseits im Bann der Newtonschen mathematisch-mechanischen Gesetzlichkeit der Natur, anderseits wehrt er allem daraus hergeleiteten Fatalismus, da er über der Welt der verstehbaren Naturnotwendigkeit die der unverstehbaren, aber durch die praktische Vernunft gesicherten Freiheit sieht. So scheidet er zwischen dem in der Erfahrungswelt stehenden empirischen Menschen, der in allem der Naturkausalität unterliegt, u. dem über die Erfahrungswelt hinausgehenden intellegiblen Menschen, der der eigenen moralischen Freiheit der Selbstbestimmung mächtig ist. Er faßt die Freiheit als die Möglichkeit der moralischen Person zu einer "sich gänzl. v. selbst bestimmenden Kausalität". Das unerklärl. Geheimnis des Menschen liegt für ihn in seiner "Unabhängigkeit v. einem Mechanismus der ganzen Natur", in einer "Spontaneität", kraft deren der Mensch "einen Zustand, mithin auch eine Reihe Folgen desselben schlechthin anzufangen" vermag. Diese "transzendentale" Freiheit der Vernunftperson hält Kant aber für "wissenschaftl." nicht erkennbar, weil erkennbar nach ihm nur die Natur als "Inbegriff aller Erscheinungen" ist, u. zwar dadurch, daß ihr der Verstand in seiner Kategorie der Kausalität ihre Regelhaftigkeit u. Gesetzlichkeit vorschreibt. Kant kommt aber um die Tatsache der Freiheit nicht herum. In seiner Geschichtsphilosophie bezeichnet er als Ziel der Geschichte u. ihrer "Fortschreitung" den Sieg der Freiheit über die Natur. Freiheit ist dort "der einzige Begriff des Übersinnlichen, welcher seine objektive Realität (vermittels der Kausalität, die in ihm gedacht ist) an der Natur durch ihre in derselben mögl. Wirkung beweist". Damit ist Freiheit als etwas bezeichnet, das sich auch in der Natur auswirkt. Gegenüber dem naturwissenschaftl. Denken, das für die Freiheit anscheinend keinen Platz hat, ist zu betonen: Die Freiheit kann nachgewiesen werden, wenn auch nicht durch naturwissenschaftl. Erkenntnis. Es gibt eben neben dem naturwissenschaftl. noch andere Zugänge zur Wirklichkeit.


Eine Überbetonung der Naturgesetzlichkeit finden wir auch im dialektischen Materialismus. Nach ihm besteht Freiheit nur in der Erkenntnis der notwendig wirkenden Entwicklungsgesetze u. in der damit gegebenen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirksam werden zu lassen (Engels). Gerade diese Auffasssung v. Freiheit befähigt die Anhänger des dialektischen Materialismus zum restlosen Einsatz für das v. ihnen angestrebte Gesellschaftssystem, sehen sie sich doch als Werkzeuge der geschichtl. Notwendigkeit u. stellen sich bewußt in ihren Dienst. Darin liegt zugleich die Unfolgerichtigkeit dieser Anschauung: Wenn die Entwicklungsgesetze mit Notwendigkeit wirken, müßte es überflüssig sein, daß man immer wieder alle Kräfte anspornt, um zum behaupteten Ergebnis der notwendigen Entwicklung zu kommen; indirekt gibt man damit zu, daß es doch auf die Entscheidung u. auf den Einsatz des Menschen ankommt.


Eine andere Schwierigkeit gegen die W. scheint sich auf die Erfahrung zu stützen: Die persönl. Erfahrung v. Mächten u. Geschehnissen, die das Leben des Menschen ganz anders gestalten, als es sein Wunsch wäre, hat in vielen die Überzeugung entstehen lassen, der Mensch sei derart in einen überindividuellen Zusammenhang hinein verflochten (derart einem Schicksal ausgeliefert), daß seine eigene Entscheidungsfähigkeit zur bloßen Täuschung werde. Der Schicksalsglaube übersieht jedoch, daß Menschenschicksal mehr ist als kausalnotwendiges Werden. In ihm verflecheten sich ein Geschehen, das menschlicher Macht entzogen ist, u. ein Tun, das menschlicher Freiheit entspringt. Schicksal bedeutet richtig verstanden nicht Ablösung der Freiheit durch die Notwendigkeit, sondern bloß Begrenzung der Freiheit durch Natur, persönl. Individualität, biologisches Erbe u. historische Situation. Es bedeutet ferner eine Aufgabe für die Freiheit, das Schicksal aufzugreifen u. durch seine Einbeziehung in die persönl. Wirksphäre zu wachsen.


Mit der Erfahrung hat es auch die Moralstatistik zu tun. Sie stellt in Zahlen dar, daß dieselben sittl. Phänomene (im besonderen Verbrechen) unter denselben Bedingungen ungefähr gleich oft vorkommen (wobei sie allerdings mit mehr od. minder großen "Dunkelziffern" ihre Schwierigkeiten hat), u. zieht daraus den Schluß, die Leidenschaften u. die Umstände wirkten auf den Menschen derart determinierend, daß v. W. keine Rede mehr sein könne. Diese Folgerung bestünde aber erst zu Recht, wenn nachgewiesen würde, daß ausnahmslos kein v. einer bestimmten Leidenschaft geplagter Mensch unter bestimmten Umständen die Versuchung überwunden hätte; dieser Nachweis ist nicht erbracht. "Das Gesetz der großen Zahl beweist nichts gegen die Entscheidungsfreiheit der einzelnen" (Pius XII., UG 1910 [DRM XV 282]).


Die Psychopathologie (Psychiatrie) erforscht das abnormale Seelenleben u. stellt dabei fest, daß viele seelisch Kranke in ihren Handlungen unfrei sind. Wenn man daraus die allg. These aufstellen will, kein Mensch besitze die W., muß dem widersprochen werden. Abgesehen davon, daß die Beeinträchtigung der W. durchaus nicht bei allen seelisch Erkrankten gleich weit geht, darf man nicht ohne weiteres vom Kranken auf den Gesunden schließen.


4. Mit dem Stehen zur W. als der notwendigen Grundlage jeglichen sittl. Lebens soll nicht behauptet werden, daß der menschl. Wille in seinen Entscheidungen nicht an Voraussetzungen gebunden u. Einflüssen ausgesetzt wäre. Eine andere Frage ist es, ob er ihnen hilflos ausgeliefert ist (vgl. Pius XII., UG 466 [DRM XV 349]).


a) Freie Selbstbestimmung setzt die Erkenntnis voraus: Der Mensch kann sich nur für etwas entscheiden, was er kennt. Die Erkenntnis zeigt dem Willen, welche Gründe für u. welche gegen ein Handeln sprechen (vgl. Augustinus, Ep. 140/2,3, PL 33,539). Das Wollen selbst aber entscheidet, v. welchen Gründen (Motiven) es sich bestimmen läßt.

Alles, was verhindert, daß die Vorzüge u. die Mängel eines bestimmten Verhaltens in vollem Umfang erkannt werden, engt auch das Feld ein, in dem der Mensch sich frei entscheiden kann. Solche verhindernden Ursachen können im Menschen liegen, in seiner geringen Intelligenz od. Bildung od. in krankhafter Störung der Erkenntnis. Aber auch v. außen (durch die Erziehung in Familie u. Schule, durch die sozialen u. politischen Verhältnisse) können Einflüsse auf die Erkenntnis ausgeübt werden, die für die freie Entscheidung bessere od. schlechtere Voraussetzungen schaffen. "Es gibt Verführer durch Philosophie, Leute, die mit dem hehren, lockenden, ehrenreichen Namen ihre Irrtümer schmücken u. herausputzen" (Augustinus, Conf. III 4,8, PL 32,686; vgl. 2. Vat. Konz., GS 25; vgl. Manipulation). Jede Einseitigkeit der Erkenntnis engt ja den Bereich der freien Entscheidung ein.


b) Die Motivwahl wird dem Menschen vielfach erschwert, wenn in ihm schon Neigungen od. Abneigungen in bestimmter Richtung vorhanden sind; diese können umso leichter Oberhand gewinnen, je mehr die Tatkraft des Willens, der sie zügeln sollte, schwächenden Einflüssen ausgesetzt ist.


c) Zu den Nachwirkungen der Erbsünde, unter denen der Mensch leidet, gehört es, daß sein Wille mit spontan auftretenden Strebungen u. Neigungen zu ringen hat. Sie sind nicht v. vornherein einer v. der Vernunft aufgezeigten göttl. Ordnung eingefügt, sondern vom Willen erst einzufügen. Die Erfüllung dieser sittl. Aufgabe gelingt häufig nur mit vieler Mühe. Paulus klagt: "Ich habe dem inneren Menschen nach Freude am Gesetz. Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Denkens widerstreitet u. mich in dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist, gefangenhält" (Röm 7,22 f).

Trotz der Stärke des Widerstreits gehen die Reformatoren zu weit, wenn sie den Menschen unentrinnbar in der Grundbefindlichkeit sehen, sein eigenes Selbst unabhängig v. Gott leben zu wollen, u. wenn sie dem Willen die Möglichkeit absprechen, gegen das "Gesetz der Sünde" aufzukommen; sie übersehen damit die Erfahrung des tägl. Lebens. "Oder ist etwa der Mensch gezwungen, den bösen Begierden, die er im Herzen trägt, zuzustimmen u. wirkl. zu sündigen? Das sei fern! Etwas anderes ist es, böse Begierden im Herzen haben, etwas anderes, 'ihnen übergeben werden' (Röm 1,24), näml. so, daß man durch Zustimmung in ihre Gewalt kommt" (Augustinus, Contra Iul. V 3,11, PL 44,789).


d) Wenn der Mensch zum sittl. Leben, d.h. zur freien Selbstgestaltung seines Lebens gemäß dem ihm aufgetragenen Sollen (Sittlichkeit), verpflichtet ist, trägt er auch Verantwortung dafür, sich zu dieser Selbstgestaltung fähig zu verhalten. Das bedeutet, daß er sich v. allen Einflüssen frei zu machen u. frei zu halten hat, die ihn daran hindern (frei v. aller Entstellung der Erkenntnis u. v. aller verkehrten Neigung), u. daß er im Gegenteil alles zu pflegen hat, was ihn zu dieser Selbstgestaltung befähigt (vor allem die volle Erkenntnis seines Sollens u. die Festigung der guten Neigungen). Das ist ein wichtiger Teil der sittl. Aufgabe jedes Menschen u. jeder Erziehungsaufgabe an anderen Menschen.


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