Das Zweite Vatikanische Konzil
Dekret über die katholischen Ostkirchen
1. Die Ostkirchen mit ihren Einrichtungen und liturgischen Bräuchen, ihren Überlieferungen und ihrer christlichen
Lebensordnung sind in der katholischen Kirche hochgeschätzt. In diesen
Werten von ehrwürdigem Alter leuchtet ja eine Überlieferung auf,
die über die Kirchenväter bis zu den Aposteln zurückreicht.
Sie bildet ein Stück des von Gott geoffenbarten und ungeteilten Erbgutes
der Gesamtkirche1. Für diese Überlieferung
sind die Ostkirchen lebendige Zeugen. Dem Heiligen Ökumenischen Konzil
liegt daher die Sorge für die Ostkirchen sehr am Herzen. Es wünscht,
daß diese Kirchen neu erblühen und mit frischer apostolischer
Kraft die ihnen anvertraute Aufgabe meistern. Darum hat es neben den die
Gesamtkirche betreffenden Anordnungen auch über sie einige Beschlüsse
gefaßt. Indes überläßt es weitere Entscheidungen
der Obsorge der orientalischen Synoden und des Apostolischen Stuhles.
Die Teilkirchen oder Riten
2. Die heilige katholische Kirche
ist der mystische Leib Christi und besteht aus den Gläubigen, die
durch denselben Glauben, dieselben Sakramente und dieselbe oberhirtliche
Führung im Heiligen Geist organisch geeint sind. Durch ihre Hierarchie
zu verschiedenen Gemeinschaften zusammengeschlossen, bilden sie "Teilkirchen"
oder "Riten". Unter diesen herrscht eine wunderbare Verbundenheit, so daß
ihre Vielfalt in der Kirche keinesfalls der Einheit Abbruch tut, sondern
im Gegenteil diese Einheit deutlich aufzeigt. Das ist nämlich das
Ziel der katholischen Kirche: daß die Überlieferungen jeder
einzelnen Teilkirche oder eines jeden Ritus unverletzt erhalten bleiben;
zugleich soll sich der Lebensstil dieser Kirchen den verschiedenen zeitlichen
und örtlichen Notwendigkeiten anpassen
2.
3. Diese Teilkirchen - seien es die östlichen oder westlichen unterscheiden sich in gewissem Grade
durch ihre sogenannten Riten, d. h. durch ihre Liturgie, ihr kirchliches
Recht und ihr geistiges Erbgut; aber alle sind sie in gleicher Weise der
Hirtenführung des Bischofs von Rom anvertraut, der nach göttlichem
Recht dem hl. Petrus im Primat über die ganze Kirche nachfolgt. Alle
nehmen sie daher die gleiche Würde ein, so daß auf Grund ihres
Ritus keine von ihnen einen Vorrang vor den anderen hat. Alle genießen
dieselben Rechte und haben dieselben Verpflichtungen, auch bezüglich
der unter Oberleitung des Bischofs von Rom auszuübenden Verkündigung
des Evangeliums an die ganze Welt (vgl. Mk 16,15).
4. Auf der ganzen Welt soll daher für die Erhaltung und das Wachstum aller Teilkirchen gesorgt werden.
Daher sollen eigene Pfarreien und eine eigene Hierarchie errichtet werden,
wo immer das geistige Wohl der Gläubigen dies fordert. Doch sollen
die Hierarchen der verschiedenen Teilkirchen, die im selben Gebiet ihre
Oberhirtengewalt ausüben, durch regelmäßige gemeinsame
Beratungen dafür sorgen, daß die Einheitlichkeit des Handelns
gefördert wird und daß mit vereinten Kräften gemeinsame
Unternehmungen zum Segen der Religion und zum wirksameren Schutz der Ordnung
innerhalb der Geistlichkeit verwirklicht werden
3
Alle Geistlichen und alle, die zu den heiligen Weihen aufsteigen, sollen
gründlich über die Riten unterrichtet werden und vor allem über
die praktischen Regeln für die Beziehungen der einzelnen Riten zueinander.
Auch die Laien sollen in der Glaubensunterweisung über die verschiedenen
Riten und ihre Bestimmungen belehrt werden. Endlich soll jeder Katholik
wie auch jeder in irgendeiner nichtkatholischen Kirche oder Gemeinschaft
Getaufte, der zur vollen katholischen Einheit kommt, auf der ganzen Welt
seinen eigenen Ritus pflegen und nach besten Kräften bewahren
4.
Dabei bleibt in Sonderfällen einzelner Personen, einzelner Gemeinschaften
oder einzelner Gebiete das Recht des Rekurses an den Apostolischen Stuhl
gewahrt. Dieser wird als höchster Schiedsrichter über die Beziehungen
der Teilkirchen zueinander in ökumenischem Geiste durch geeignete
Richtlinien, Anordnungen oder Reskripte selbst oder unter Einschaltung
anderer Obrigkeiten den Erfordernissen Rechnung tragen.
Das geistige Erbgut der Ostkirchen soll bewahrt werden
5. Die Geschichte, die Überlieferungen
und zahlreiche kirchliche Einrichtungen legen ein glänzendes Zeugnis
für die großen Verdienste der Ostkirchen um die Gesamtkirche
ab
5. Darum begnügt sich das Heilige Konzil
nicht damit, diesem kirchlichen und geistigen Erbgut schuldige Achtung
und gebührendes Lob zu zollen. Es betrachtet all das darüber
hinaus als echtes Erbgut der gesamten Kirche Christi. Daher erklärt
es feierlich: Die Kirchen des Ostens wie auch des Westens haben das volle
Recht und die Pflicht, sich jeweils nach ihren eigenen Grundsätzen
zu richten, die sie durch ihr ehrwürdiges Alter empfehlen, den Gewohnheiten
ihrer Gläubigen besser entsprechen und der Sorge um das Seelenheil
angemessener erscheinen.
6. Alle Ostchristen sollen wissen
und davon überzeugt sein, daß sie ihre rechtmäßigen
liturgischen Bräuche und die ihnen eigene Ordnung bewahren dürfen
und müssen, es sei denn, daß aus eigenständigem und organischem
Fortschritt Änderungen eingeführt werden sollten. Über das
alles sollen also die Orientalen selbst mit größter Gewissenhaftigkeit
wachen. Sie sollen auch immer tiefer eindringen in die Kenntnis dieser
Dinge und sich immer mehr vervollkommnen in deren praktischer Verwirklichung.
Wenn sie aber wegen besonderer Zeitumstände oder persönlicher
Verhältnisse ungebührlich von ihren östlichen Gebräuchen
abgekommen sind, sollen sie sich befleißigen, zu den Überlieferungen
ihrer Väter zurückzukehren. Indessen sollen sich alle, die durch
ihr Amt oder ihren apostolischen Dienst in engere Berührung mit den
Ostkirchen oder ihren Gläubigen kommen, angesichts ihrer verantwortungsschweren
Aufgabe in der Kenntnis und Ausübung ostkirchlicher Gebräuche,
in ostkirchlicher Ordnung, Lehre, Geschichte und charakterlicher Eigenart
gründlich unterrichten lassen
6. Den Orden
und Genossenschaften des lateinischen Ritus aber, die in ostkirchlichen
Gebieten oder unter ostkirchlichen Gläubigen seelsorglich tätig
sind, wird dringend empfohlen, daß sie nach Möglichkeit, um
ihr Apostolat wirksamer zu machen, Häuser oder auch Provinzen des
östlichen Ritus errichten
7.
Die ostkirchlichen Patriarchen
7. Seit den ältesten Zeiten besteht in der Kirche die Einrichtung des Patriarchates, die schon von
den ersten ökumenischen Konzilien anerkannt worden ist
8.
Als ostkirchlichen Patriarchen bezeichnet man einen Bischof, dem im Rahmen
des Rechtes, unbeschadet des Primates des Bischofs von Rom, die Regierungsgewalt
über alle Bischöfe, die Metropoliten einbezogen, sowie über
den Klerus und das Volk seines Gebietes oder Ritus zukommt
9.
Wo immer ein Oberhirte eines bestimmten Ritus außerhalb des Patriarchatsgebietes
eingesetzt wird, bleibt er unter Wahrung der sonstigen kirchenrechtlichen
Bestimmungen der Hierarchie seines Patriarchates angegliedert.
8. Die ostkirchlichen Patriarchen
sind zwar zu verschiedenen Zeiten aufgekommen, aber hinsichtlich ihrer
Patriarchenwürde alle gleichen Ranges. Dabei bleibt jedoch der gesetzlich
festgelegte Ehrenvortritt gewahrt
10.
9. Nach ältester kirchlicher
Überlieferung gebührt den Patriarchen der Ostkirchen ein einzigartiger
Ehrenvorzug; stehen sie doch als Vater und Oberhaupt über ihrem Patriarchat.
Daher bestimmt dieses Heilige Konzil, daß ihre Rechte und Privilegien
nach den alten Traditionen einer jeden Kirche und nach den Beschlüssen
der Ökumenischen Konzilien wiederhergestellt werden sollen
11.
Es sind dies jene Rechte und Privilegien, die galten, als Ost und West
noch geeint waren, mag auch eine gewisse Anpassung an die heutigen Verhältnisse
notwendig sein. Die Patriarchen bilden mit ihren Synoden die Oberbehörde
für alle Angelegenheiten des Patriarchates; nicht ausgenommen ist
das Recht zur Errichtung neuer Eparchien und zur Ernennung von Bischöfen
ihres Ritus innerhalb der Grenzen des Patriarchalgebietes, unbeschadet
des Rechtes des Bischofs von Rom, in Einzelfällen einzugreifen.
10. Das über die Patriarchen
Gesagte gilt im Rahmen des Rechtes auch von den Großerzbischöfen,
die einer ganzen Teilkirche oder einem Ritus vorstehen
12.
11. Da die Einrichtung des Patriarchates
in den Ostkirchen die überlieferte Form der Kirchenregierung ist,
wünscht dieses Heilige Ökumenische Konzil, daß, wo es nötig
ist, neue Patriarchate gegründet werden. Ihre Errichtung ist dem Ökumenischen
Konzil oder dem Bischof von Rom vorbehalten
13.
Sakramentenordnung
12. Das Heilige Ökumenische
Konzil bestätigt und heißt gut die alte bei den Ostkirchen bestehende Ordnung der Sakramente und die Art ihres Vollzuges und ihrer Spendung. Gegebenenfalls wünscht es die Wiederherstellung dieser alten Ordnung.
13. Die seit den ältesten
Zeiten bei den Ostchristen gültige Ordnung, die den Spender des Sakramentes
des heiligen Chrisams betrifft, soll in vollem Umfang wiederhergestellt
werden. Demgemäß können die Priester dieses Sakrament spenden
unter Gebrauch von Chrisam, der vom Patriarchen oder Bischof geweiht ist
14.
14. Alle ostkirchlichen Priester
können dieses Sakrament in gültiger Weise allen Gläubigen
eines jeden Ritus, den lateinischen inbegriffen, spenden, sei es in Verbindung
mit der Taufe oder getrennt von ihr. Was die Erlaubtheit betrifft, sind
die Bestimmungen des allgemeinen und des Partikularrechtes zu beachten
15.
Wenn lateinische Priester Vollmacht haben, dieses Sakrament zu spenden,
so können sie es gültigerweise auch ostkirchlichen Gläubigen
spenden, ohne dabei deren Ritus zu ändern. Zur Erlaubtheit der Spendung
ist das allgemeine und das Partikularrecht einzuhalten
16.
15. Die Gläubigen sind verpflichtet,
an den Sonn- und Feiertagen der Göttlichen Liturgie oder, gemäß
den Vorschriften oder Gewohnheiten ihres eigenen Ritus, dem feierlichen
Gotteslob beizuwohnen
17. Damit die Gläubigen
diese Pflicht leichter erfüllen können, wird festgelegt, daß
die Frist zur Erfüllung dieser Pflicht mit dem Abend des Vortages
beginnt und bis zum Ende des Sonn- oder Festtages läuft
18.
Dringend wird den Gläubigen empfohlen, an diesen Tagen und noch öfter,
ja täglich, die heilige Eucharistie zu empfangen
19
16. Mit Rücksicht auf die
allgemeine Vermischung der Gläubigen verschiedener Teilkirchen in
derselben ostkirchlichen Region
* oder in demselben ostkirchlichen
Territorium
** wird die Beichtvollmacht für Priester
aller Riten, die eine solche Vollmacht von ihrem eigenen Oberhirten ordnungsgemäß
und ohne Vorbehalt empfangen haben, auf den ganzen Bereich dessen ausgedehnt,
der die Vollmacht gegeben hat. Sie hat auch für Stätten und Gläubige
jedes anderen Ritus in diesem Bereich Geltung, es sei denn, daß ein
Ortsoberhirte dies für Stätten seines Ritus ausdrücklich
verweigert hätte
20
17. Damit die alte Ordnung des
Weihesakramentes in den Ostkirchen wieder zur Geltung komme, wünscht
das Heilige Konzil dringend, daß die Einrichtung des dauernden Diakonates,
wo sie außer Übung gekommen ist, wieder eingeführt wird
21.
Über Subdiakonat und Niedere Weihen sowie über deren Rechte und
Pflichten soll die gesetzgebende Obrigkeit jeder Teilkirche Anordnungen
treffen
22
18. Um der Ungültigkeit von
Ehen vorzubeugen sowie um der Dauerhaftigkeit der Ehe, ihrer Heiligkeit
und dem häuslichen Frieden Rechnung zu tragen, bestimmt das Heilige
Konzil, daß für Ehen zwischen katholischen Ostchristen und getauften,
ostkirchlichen Nichtkatholiken die kanonische Eheschließungsform
nur zur Erlaubtheit vorgeschrieben ist. Zur Gültigkeit einer solchen
Ehe genügt die Anwesenheit eines gültig geweihten Amtsträgers
***.
Voraussetzung dafür ist, daß die sonstigen Rechtsvorschriften
eingehalten werden
23.
Gottesdienst
19. In Zukunft ist es allein das
Recht des Ökumenischen Konzils oder des Apostolischen Stuhles, für
alle Ostkirchen gemeinschaftliche Feiertage einzuführen, sie zu verlegen
oder aufzuheben. Für die einzelnen Teilkirchen Feste einzuführen,
zu verlegen oder aufzuheben steht außer dem Apostolischen Stuhl auch
den Patriarchalsynoden oder den erzbischöflichen Synoden zu. Doch
soll dabei auf das ganze Gebiet und auf die übrigen Teilkirchen Rücksicht
genommen werden
24
20. Bis es zur ersehnten Übereinkunft
aller Christen über einen einheitlichen Ostertermin kommt, wird es
den Patriarchen oder den höchsten örtlichen Obrigkeiten zur Förderung
der Einheit aller Christen desselben Gebietes oder desselben Volkes anheimgegeben,
daß sie bei einhelliger Zustimmung und nach Beratung mit allen Beteiligten
sich auf einen bestimmten Sonntag als Ostertermin einigen
25
21. Einzelne Gläubige, die
sich außerhalb einer Region oder eines Territoriums ihres Ritus aufhalten,
können sich hinsichtlich der heiligen Zeiten ganz der Ordnung anpassen,
wie sie an ihrem Aufenthaltsort gültig ist. Familien, deren Glieder
verschiedenen Riten angehören, können diese Ordnung einheitlich
nach einem der Riten halten
26
22. Das kirchliche Gotteslob stand
seit alter Zeit bei allen Ostkirchen in hohen Ehren. Darum sollen es die
ostkirchlichen Kleriker und Ordensleute nach den Vorschriften und Überlieferungen
ihrer eigenen Kirchenordnung feiern
27. Auch
die Gläubigen sollen sich, treu dem Vorbild ihrer Väter, andächtig
und nach besten Kräften dem Gotteslob widmen.
23. Der Patriarch mit seiner Synode
oder die höchste Obrigkeit einer Kirche gemeinsam mit den Oberhirten
haben das Recht, die bei den liturgischen Handlungen verwendeten Sprachen
festzulegen. Unter Berichterstattung an den Heiligen Stuhl steht es ihnen
auch zu, die Übersetzung der liturgischen Texte in die Volkssprache
zu approbieren
28.
Verkehr mit den Brüdern aus den getrennten Kirchen
24. Den mit dem Römischen
Apostolischen Stuhl in Gemeinschaft stehenden Ostkirchen obliegt die besondere
Aufgabe, gemäß den Grundsätzen des von diesem Heiligen
Konzil erlassenen Dekretes über den Ökumenismus die Einheit aller
Christen, besonders der ostkirchlichen, zu fördern. Dieser Aufgabe
dienen vor allem ihre Gebete, das Beispiel ihres Lebens, die ehrfürchtige
Treue gegenüber den alten ostkirchlichen Überlieferungen, eine
bessere gegenseitige Kenntnis und Zusammenarbeit sowie brüderliche
Wertschätzung
29 des äußeren
und inneren Lebens der anderen.
25. Von getrennten Ostchristen,
die unter der Gnadenwirkung des Heiligen Geistes zur katholischen Einheit
kommen, soll nicht mehr verlangt werden, als was das einfache katholische
Glaubensbekenntnis fordert. Da ferner das Priestertum bei ihnen gültig
bewahrt worden ist, haben ostkirchliche Kleriker, die zur katholischen
Einheit kommen, das Recht, nach den Anordnungen der zuständigen Obrigkeit
ihre Weihegewalt auszuüben
30.
26. Wenn eine Communicatio in sacris
die Einheit der Kirche verletzt oder wenn sie eine formale Bejahung einer
Irrlehre, die Gefahr eines Glaubensabfalles, eines Ärgernisses oder
religiöser Gleichgültigkeit in sich birgt, dann ist sie durch
göttliches Gesetz verboten
31. Die Seelsorgepraxis
zeigt aber, daß bei den in Frage kommenden ostkirchlichen Brüdern
mancherlei persönliche Umstände in Betracht zu ziehen sind, unter
denen weder die Einheit der Kirche verletzt wird noch irgendeine Gefahr
zu fürchten ist, vielmehr ein Heilsnotstand und das geistliche Wohl
der Seelen drängt. Daher hat die katholische Kirche je nach zeitlichen,
örtlichen und persönlichen Umständen in Vergangenheit und
Gegenwart oft eine mildere Handlungsweise angewandt und allen die Mittel
zum Heil und das Zeugnis gegenseitiger christlicher Liebe durch Teilnahme
an Sakramenten und anderen heiligen Handlungen und Sachen dargeboten. Aus
diesen Erwägungen hat das Heilige Konzil, damit wir nicht durch die
Härte des Urteils den Erlösten zum Hindernis werden"
32,
und zur immer stärkeren Förderung der Einheit mit den von uns
getrennten Ostkirchen folgende Richtlinien festgelegt:
27. Unter Wahrung der erwähnten
Grundsätze können Ostchristen, die guten Glaubens von der katholischen
Kirche getrennt sind, wenn sie von sich aus darum bitten und recht vorbereitet
sind, zu den Sakramenten der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung
zugelassen werden. Ebenso ist es Katholiken erlaubt, dieselben Sakramente
von nichtkatholischen Geistlichen zu erbitten, in deren Kirche die Sakramente
gültig gespendet werden, sooft dazu ein ernstes Bedürfnis oder
ein wirklicher geistlicher Nutzen rät und der Zugang zu einem katholischen
Priester sich als physisch oder moralisch unmöglich herausstellt
33
28. Unter Festhalten der gleichen
Grundsätze wird auch die gemeinsame Beteiligung an heiligen Handlungen,
Sachen und Stätten bei Katholiken und getrennten Ostchristen aus triftigen
Gründen gestattet
34.
29. Diese mildere Handhabung der
Communicatio in sacris mit den Brüdern der getrennten Ostkirchen wird
der Wachsamkeit und der Regelung der Ortsoberhirten anvertraut. Sie sollen
darüber miteinander beraten und - falls es angezeigt erscheint auch
die Oberhirten der getrennten Kirchen hören. Dann sollen sie durch
geeignete und wirksame Vorschriften und Regeln das Zusammenleben der Christen
ordnen.
Schlußwort
30. Das Heilige Konzil ist hocherfreut
über die fruchtbare und tatkräftige Zusammenarbeit der katholischen
Ost- und Westkirchen. Gleichzeitig erklärt es: Alle Rechtsbestimmungen
dieses Dekretes gelten nur für die gegenwärtigen Verhältnisse,
bis die katholische Kirche und die getrennten Ostkirchen zur Vollendung
der Gemeinschaft zusammenfinden. Bis dahin aber werden alle Christen, die
des Ostens und die des Westens, inständig gebeten, glühende und
ausdauernde, ja tägliche Gebete an Gott zu richten, auf daß
mit der Hilfe der hochheiligen Gottesgebärerin alle eins werden. Sie
sollen auch beten, daß den vielen Christen der verschiedenen Kirchen,
die Leid und Bedrängnis ertragen, weil sie den Namen Christi tapfer
bekennen, vom Heiligen Geist, dem Beistand, die Fülle der Kraft und
des Trostes zuströme. "Laßt uns einander in brüderlicher
Liebe zugetan sein, einander mit Achtung zuvorkommen" (Röm 12,10).
Anmerkungen:
1 Leo XIII., Litt. Ap. Orientalium
dignitas (30. Nov. 1894), in: Leonis XIII Acta, Bd. XIV, S. 360f.
2 Leo IX, Brief In terra pax (1053):
"Ut enim"; Innozenz III., lV. Lat. Konzil (1215), 4. Kap.: "Licet Græcos";
Brief Inter quatuor (2. Aug. 1206): "Postulasti postmodum"; Innozenz IV,
Brief Cum de cetero (27. Aug. 1247); Brief Sub catholicæ (6. März
1254), Vorwort; Nikolaus III., Instructio Istud est memoriale (9. Okt.
1278); Leo X, Litt. Ap. Accepimus nuper (18. Mai 1521); Paul III., Litt.
Ap. Dudum (23. Dez. 1534); Pius IV, Konst. Romanus Pontifex (16. Febr.
1564) § 5; Klemens VIII., Konst. Magnus Dominus (23. Dez. 1595) §
10; Paul V, Konst. Solet circumspecta (10. Dez. 1615) § 3; Benedikt
XIV, Enz. Demandatam (24. Dez. 1743) § 3; Enz. Allatæ sunt (26.
Juni 1755) §§ 3, 6-19, 32; Pius VI., Enz. Catholicæ communionis
(24. Mai 1787); Pius IX., Brief In suprema (6. Jan. 1848) § 3; Litt.
Ap. Ecclesiam Christi (26. Nov. 1853); Konst. Romani Pontifiicis (6. Jan.
1862); Leo XIII., Ep. Ap. Præclara (20. Juni 1894), Nr. 7; Litt.
Ap. Orientalium dignitas (30. Nov. 1894), Vorw.; u. a.
3 Pius XII., Motupr. Cleri sanctitati
(2. Juni 1957), can. 4.
4 Pius XII., Motupr. Cleri sanctitati
(2. Juni 1957), can. 8: "sine licentia Sedis Apostolicæ", folgt der
Praxis der voraufgehenden Jahrhunderte; ebenso heißt es in can. 11
hinsichtlich der getauften Nichtkatholiken: "Sie können den Ritus
annehmen, den sie vorziehen" Im vorliegenden Text wird die Befolgung des
Ritus positiv für alle und für überall geregelt.
5 Vgl. Leo XIII., Litt. Ap. Orientalium
dignitas (30. Nov. 1894); Ep. Ap. Præclara gratulationis (20. Juni
1894); ferner die unter (2) beigebrachten Dokumente.
6 Vgl. Benedikt XV., Motupr. Orientis
catholici (15. Okt. 1917); Pius XI., Enz. Rerum orientalium (8. Sept. 1928);
u. a.
7 Die Praxis der katholischen Kirche
unter Pius XI., Pius XII., Johannes XXIII zeigt reichlich diese Tendenz.
8 Vgl. Konzil v. Nicæa I, can.
6; Konstant. I, can. 2 und 3; Chalc., can. 28, can. 9; Konstant. IV, can.
17 und 21; Lat. IV, can. 5 und 30; Florent., Decr. pro Græcis; u.
a.
9 Vgl. Nicæn. I, can. 6; Konstant.
I, can. 3; Konstant. IV, can. 17; Pius XII., Motupr. Cleri sanctitati,
can. 216, § 2, 1.
10 Auf Ökumenischen Konzilien:
Nicæn. I, can. 6; Konstant. I, can. 3; Konstant. IV, can. 21; Lat.
IV, can. 5; Florent., Decr. pro Græcis (6. Juli 1439) § 9. Vgl.
Pius XlI., Motupr. Cleri sanctitati (2. Juni 1957), can. 219; u. a.
11 Vgl. oben, Anm. 8.
12 Vgl. Konz. v. Ephesus, can. 8;
Klemens VIII., Decet Romanum Pontificem (23. Febr. 1596); Pius VII., Litt.
Ap. In universalis Ecclesiæ (22. Febr. 1807); Pius XII., Motupr.
Cleri sanctitati (2. Juni 1957), can. 324-327; Synode v. Karthago (419),
can. 17.
13 Synode v. Karth. (419), can.
17 u. 57; Chalc. (451), can. 12; Innozenz I, Brief Et onus et honor (um
415): "Nam quid sciscitaris"; Nikolaus I, Brief Ad consu1ta vestra (13.
Nov. 866): "A quo autem"; Innozenz III., Brief Rex regum (25. Febr. 1214);
Leo XII., Const. Ap. Petrus Apostolorum Princeps (15. Aug. 1824); Leo XIII.,
Litt. Ap. Christi Domini (1895); Pius XII., Motupr. Cleri sanctitati (2.
Juni 1957), can. 159.
14 Vgl. Innozenz IV, Brief Sub catholicæ
(6. März 1254) § 3, Nr. 4; Lyon II (1274), Glaubensbekenntnis
des Michæl Paläologus vor Gregor X; Eugen IV auf dem Florent.,
Konst. Exsultate Deo (22, Nov. 1439) § 11; Klemens VIII., Instructio
Sanctissimus (31. Aug. 1595); Benedikt XIV, Konst. Etsi pastoralis (26.
Mai 1742) § II, Nr. 1, § III., Nr. 1 usw.; Synode v. Laodicea
(347/381), can. 48; armenische Synode v. Sis (1342); maronitische Synode
im Libanon v. 1736, Teil II, Kap. III., Nr. 2; und andere Partikularsynoden.
15 Vgl. Heiliges Offizium, Instructio
an den Bischof v. Zips (1783); Prop. Fide für die Kopten (15. März
1790), Nr. XIII; Dekret v. 6. Okt. 1863, C, a; Kongr.f. d. Ostkirchen v.
1. Mai 1948; Heiliges Offizium, Antwort v. 22. Apr. 1896 mit Brief v. 19.
Mai 1896.
16 CIC, can. 782 § 4; Kongr.f.
d. Ostkirchen, Dekret "Über die Spendung der Firmung auch an ostkirchliche
Gläubige durch Priester des lateinischen Ritus, die sich dieses Indultes
für Gläubige ihres Ritus erfreuen" (1. Mai 1948).
17 Vgl. Synode v. Laodicea (347/381),
can. 29; Nikephoros v. Konstant., Kap. 14; armenische Synode v. Dwin (719),
can. 31; Theodor der Studit, Predigt 21; Nikolaus I, Brief Ad consulta
vestra (13. Nov. 866): "In quorum Apostolorum"; "Nos cupitis"; "Quod interrogatis";
"Præterea consulitis"; "Si die Dominico"; sowie Partikularsynoden.
18 Eine Neuerung, wenigstens wo
die Verpflichtung zum Anhören der heiligen Liturgie besteht; sie lehnt
sich übrigens an den liturgischen Tag bei den Orientalen an.
19 Vgl. Canones Apostolorum 8 und
9; Synode v. Antiochien (341), can. 2; Timotheus v. Alex., Interrogatio
3; Innozenz III., Konst. Quia divinæ (4. Jan. 1215); sowie sehr viele
ostkirchliche Partikularsynoden in jüngerer Zeit.
20 Unbeschadet des Territorialprinzips
in der Leitungsgewalt zielt der Kanon zum Heil der Seelen auf Vorkehrungen
bei einer Mehrzahl von Jurisdiktionen im gleichen Gebiet.
21 Vgl. Nicæn. I, can. 18;
Syn. v. Neocæsarea (314/325), can. 12; Syn. v. Sardika (343), can.8;
Leu d. Gr., Brief Omnium quidem (13. Jan. 444); Chalc., can. 6; Konstant.
IV, can. 23, 26; u. a.
22 Der Subdiakonat wird bei einer
Reihe von Ostkirchen als Niedere Weihe betrachtet; durch das Motuproprio
Pius' XII Cleri sanctitati jedoch werden für ihn die Verpflichtungen
der Höheren Weihen vorgeschrieben. Der Kanon sieht vor, daß
man hinsichtlich der Subdiakonatsverpflichtungen zur alten Ordnung der
einzelnen Kirchen zurückkehre, unter Abschaffung des gemeinen Rechtes
von Cleri sanctitati.
23 Vgl. Pius XII., Motupr. Crebræ
allatæ (22. Febr. 1949), can. 32 § 2, Nr. 5 (Vollmacht der Patriarchen
zur Dispens von der Formpflicht); Pius XII., Motupr. Cleri sanctitati (2.
Juni 1957), can. 267 (Vollmacht der Patriarchen für sanatio in radice);
das Heilige Offizium und die Kongr.f. d. Ostkirchen gewähren 1957
auf fünf Jahre die Vollmacht zur Dispens von der Formpflicht und zur
Heilung bei Formmangel "den Metropoliten und anderen Ortsoberhirten außerhalb
der Patriarchate ..., die außer dem Heiligen Stuhl keinen anderen
Vorgesetzten haben".
24 Vgl. Leo d. Gr., Brief Quod sæpissime
(15. Apr. 454): "Petitionem autem"; Nikephoros v. Konst., Kap. 13; Synode
des Patriarchen Sergius (18. Sept. 1596), can. 17; Pius VI., Litt. Ap.
Assueto paterne (8. Apr. 1775); u. a.
25 Vgl. Vat. II, Konst. über
die heilige Liturgie (4. Dez. 1963).
26 Vgl. Klemens VIII., Instructio
Sanctissimus (31. Aug. 1595) § 6: "Si ipsi græci"; Heiliges
Offizium am 7. Juni 1673 zu 1 u. 3, am 13. März 1727 zu 1; prop. Fide,
Dekret v. 18. Aug. 1913, Art. 33; Dekret v. 14. Aug. 1914, Art. 27; Dekret
v. 27. März 1916, Art. 14; Kongr.f. d. Ostkirchen, Dekret v. 1. März
1929, Art. 36; Dekret v. 4. Mai 1930, Art. 41.
27 Vgl. Syn. v. Laodicea (347/381),
can. 18; chaldäische Synode des Mar Isaak (410), can. 15; Nerses v.
Hromklay, armenisch (1166); Innozenz IV, Brief Sub catholicæ (6.
März 1254) § 8; Benedikt XIV, Konst. Etsi pastoralis (26. Mai
1742) § 7, Nr. 5; Instructio Eo quamvis tempore (4. Mai 1745) §§
42 ff; sowie Partikularsynoden in jüngerer Zeit: armenische (1911),
koptische (1898), maronitische (1736), rumänische (1872), ruthenische
(1891), syrische (1888).
28 Gemäß ostkirchlicher Überlieferung.
29 Gemäß dem Tenor der
Unionsbullen der einzelnen katholischen Ostkirchen.
30 Konziliare Festlegung hinsichtlich
der getrennten ostkirchlichen Brüder und aller Weihestufen göttlichen
wie kirchlichen Rechts.
31 Diese Lehre gilt auch in den
getrennten Kirchen.
32 Basilius d. Gr., Ep. can. ad
Amphilochium: PG 32, 669B.
33 Als Grundlage der Erleichterung
ist anzusehen: 1. die Gültigkeit der Sakramente, 2. der gute Glaube
und die Disposition, 3. die Notwendigkeit für das ewige Heil, 4. die
Abwesenheit eines eigenen Priesters, 5. der Ausschluß zu meidender
Gefahren und formellen Anschlusses an den Irrtum.
34 Es handelt sich um die obengenannte
"außersakramentale communicatio in sacris". Die Erleichterungen gewährt
das Konzil, wobei die Vorschriften einzuhalten sin.
* "Region" bedeutet hier ein Gebiet,
in dem seit alter Zeit ein ostkirchlicher Ritus besteht, unabhängig
davon, ob an dem Ort eine ostkirchliche Eparchie (Bistum), eine Kirchenprovinz,
ein Erzbistum oder ein Patriarchat errichtet ist (Motuproprio Postquam
Apostolicis v. 9. Februar 1952, can. 303 § 1, 2) (Anm. des Übers.).
** "Territorium" bedeutet ein Gebiet,
in dem wenigstens ein Exarchat für ostkirchliche Gläubige errichtet
ist, die außerhalb einer ostkirchlichen '"Region" (s. o.) wohnen (a.
a. O., can. 303 § 1, 3) (Anm. des Übers.).
*** im Urtext: minister sacer (Anm.
des Übers.).