Kasuistik
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1969, Sp. 654 f


Unter K. (lat. casus = Fall) versteht man in der Moraltheologie die Lösung konkreter sittl. Einzelprobleme (Gewissensfälle) durch Anwendung der allg. Grundsätze auf sie. Bei maßvoller Anwendung kann die K. der Moraltheologie gute Dienste leisten.

Nicht immer aber wurden die rechten Grenzen eingehalten: a) Kasuisten haben sich (vielfach in einseitiger Ausrichtung der Moraltheologie auf die Tätigkeit der Beichtväter) ganz v. Einzelfällen gefangennehmen lassen u. sich um das Grundsätzliche zu wenig gekümmert; sie waren damit auch für die Einzelfälle zu wenig gerüstet u. verloren sich in Spitzfindigkeiten. b) Sie haben ihren Lösungen zu große Bedeutung beigemessen: als ob sich die Fülle vorkommender Gewissensfälle v. vornherein in Casus fassen ließe; als ob sich die Situation mit ihrem Persönlich-Einmaligen nicht vom Casus, dem Einzelfall des Allg.en, unterschiede u. als ob daher mit der Lösung des Casus auch für die Situation die vollbefriedigende Antwort, die das eigene fragende Mühen des Menschen überflüssig macht, gegeben wäre; als ob der sittl. Aufruf rein durch das Sachliche, nicht durch das persönl. Wollen Gottes (das oft bei denselben sachl. Gegebenheiten Verschiedenes fordern kann) bestimmt wäre u. wieder nur das objektive Tun des Menschen, nicht aber vorzügl. seine innere Einstellung beträfe; als ob der Mensch bloß zur Nicht-Sünde (um deren Scheidung v. Sünde man sich peinl. bemüht) u. nicht zu sittl. Höherstreben verpflichtet wäre. - Kein Wunder, daß solch aufgeblähte u. verzerrte K. zum Widerspruch herausforderte.


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