Ökumenismus
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 1224-1232


I. Das 2. Vat. Konz. hat den Ö., das Streben nach Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen (UR 4), als eine seiner Hauptaufgaben angesehen (UR 1). Um sie zu erfüllen, wollte es "allen Christen die Mittel u. Wege nennen u. die Weise aufzeigen, wie sie selber diesem göttl. Ruf u. dieser Gnade Gottes entsprechen könnten" (UR 1). Es mahnte die Katholiken zum Eifer im ökumenischen (= ök.) Werk (UR 4), stellte mit Freude ihre wachsende Teilnahme daran fest u. empfahl den Bischöfen, sie darin eifrig zu fördern u. mit Klugheit zu leiten (UR 4).

Die kath. Kirche hat zwar in der Vergangenheit vieles unternommen, um die Einheit der getrennten christl. Gemeinschaften wiederherzustellen. Der auf prot. Initiative entstandenen Ök. Bewegung, die sich 1948 im Weltrat der Kirchen organisierte, ist sie allerdings lange Zeit zurückhaltend gegenübergestanden. Erst nach 1960 wurden über inoffizielle Versuche hinaus auch mehr u. mehr offizielle Kontakte aufgenommen (Einladung von nichtkath. christl. Beobachtern zum 2. Vat. Konz., Treffen Pauls VI. mit dem Patriarchen Athenagoras 1964 u. 1967, Besuch Pauls VI. beim Weltrat der Kirchen in Genf 1969, Entsendung katholischer Beobachter od. Teilnehmer zu ök. Veranstaltungen, gemeinsame Unternehmungen u. Konferenzen der kath. Kirche u. nichtkatholischer christl. Gemeinschaften). Eine wichtige Rolle spielt dabei das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen, das 1960 durch Johannes XXIII. gegründet wurde (AAS 1060,433-437).


1. Die Kirche kann das nicht übersehen, was die nichtkath. Christen von ihr trennt: Sie haben nicht das volle Glaubensgut od. wahren nicht die Kommunioneinheit unter dem Nachfolger Petri (LG 15). Die Einheit darf nicht auf Kosten der Wahrheit gesucht werden (vgl. GS 28). Im besonderen ist zu beachten, daß Christus nur eine Kirche gegründet hat (UR 2 f). "Ein Leib u. ein Geist, wie ihr auch bei euerer Berufung zu einer Hoffnung berufen worden sei. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott u. Vater aller, der da ist über allen u. durch alle u. in allen" (Eph 4,4 f).

Dennoch hat das 2. Vat. Konz. anerkannt, daß die nichtkath. christl. Gemeinschaften wertvolle christl. Güter bewahrt haben u. pflegen (UR 4). So weiß sich die Kirche mit ihnen nicht bloß durch den Ehrennamen "Christen" verbunden, sondern auch durch gemeinsame Besitztümer (freil. mehr od. weniger je nach der rel. Gemeinschaft): die Hl. Schrift, den rel. Eifer, den liebenden Glauben an Gott Vater u. an Jesus Christus, die Taufe u. andere Sakramente, das Bischofsamt, die Eucharistie, die Marienverehrung, das Gebet u. andere geistl. Güter. "Ja sogar eine wahre Verbindung im Hl. Geiste, der in Gaben u. Gnaden auch in ihnen mit seiner heiligenden Kraft wirksam ist u. manche von ihnen bis zur Vergießung des Blutes gestärkt hat. So erweckt der Geist in allen Jüngern Christi Sehnsucht u. Tat, daß alle in der von Christus angeordneten Weise in der einen Herde unter dem einen Hirten in Frieden geeint werden mögen" (LG 15; vgl. UR 3).


2. An Mitteln zur Förderung der Einheit nennt das 2. Vat. Konz.: a) das Studium, durch das Katholiken "eine bessere Kenntnis der Lehre u. der Geschichte, des geistl. u. liturgischen Lebens, der rel. Psychologie u. Kultur, die den Brüdern eigen ist, erwerben" (UR 9); b) den Dialog von Christen aus verschiedenen Kirchen od. Gemeinschaften, "wobei ein jeder die Lehre seiner Gemeinschaft tiefer u. genauer erklärt, so daß das Charakteristische daran deutl. hervortritt", mit dem Ziel der besseren Erkenntnis der Lehre u. des Lebens jeder der beteiligten Gemeinschaften u. deren gerechterer Würdigung (UR 4); c) das Bemühen um die "Ausmerzung aller Worte, Urteile u. Taten, die der Lage der getrennten Brüder nach Gerechtigkeit u. Wahrheit nicht entsprechen u. dadurch die gegenseitigen Beziehungen mit ihnen erschweren" (UR 4); d) die Zusammenarbeit in den Aufgaben des Gemeinwohles, zu deren Erfüllung das christl. Gewissen drängt (UR 4); e) die Erneuerung der Katholiken in der eigenen Kirche, "damit ihr Leben mit mehr Treue u. Klarheit für die Lehre u. die Einrichtungen Zeugnis gebe, die ihnen von Christus her durch die Apostel überkommen sind" (UR 4); f) das Gebet für die getrennten Christen u. auch mit ihnen zus. (UR 4), wenn sich dazu ein Anlaß ergibt (UR 8).

Das Konzil u. das Sekretariat für die Einheit der Christen (Directorium Oecumenicum = DOe, 14.5.1967 u. 15.5.1970) haben sogar die Möglichkeit eröffnet, daß getrennte (Ost-)Christen zum Empfang der Sakramente der Buße, des Altares u. der Krankensalbung von kath. Spendern zugelassen werden (OE 26 f; DOe 41 f 46) u. daß Katholiken dieselben Sakramente im Notfall von getrennten (ostkirchl.) Spendern empfangen (OE 27; DOe 46) u. die Liturgie der getrennten (ostkirchl.) Gemeinschaft mitfeiern (DOe 50); letzteres wird ihnen empfohlen, wenn sie keine Möglichkeit haben, an einer kath. Messe teilzunehmen (DOe 47).


II. Hinsichtl. des Dialoges hatte das Kirchenrecht bestimmt, daß Katholiken öffentl. Aussprachen über Glaubensfragen mit Nichtkatholiken nur mit Erlaubnis des Hl. Stuhles od. in dringenden Fällen mit Erlaubnis des Ortsordinarius durchführen sollten (CICc. 1325 §3). Die Instruktion "Ecclesia Catholica" des Hl. Offiziums vom 20.12.1949 (AAS 1950,142-147) band die Teilnahme von Katholiken an solchen öffentl. Gesprächen neuerl. an eine bischöfl. Erlaubnis, räumte aber den Bischöfen in dieser Sache größere Vollmachten ein.

Das 2. Vat. Konz. empfiehlt den gleichberechtigten Dialog von Christen verschiedener Bekenntnisse zur Pflege des Ö. (UR 4 9). Sinnvoll kann ein solcher Dialog nur von Katholiken geführt werden, die sich nicht nur von den nichtkath. Christen informieren lassen wollen, sondern selbst auch imstande sind, ihre Gesprächspartner über die kath. Lehre u. das kath. Leben zu informieren. Diese Fähigkeit ist nur bei entsprechendem Wissen und entsprechender Festigkeit gegeben. Ohne diese Voraussetzung wäre auch den nichtkath. Gesprächspartnern mit dem Dialog nicht wirkl. gedient. Das Konzil wünscht daher, der ök. Dialog solle "von wohlunterrichteten Sachverständigen" geführt werden (UR 4; vgl. 9), u. will der kirchl. Obrigkeit eine gewisse Kontrolle darüber sichern ("unter der Aufsicht ihrer Oberen" UR 9).

Bei allem begreifl. Streben nach Verständigung darf die kath. Lehre nicht entstellt werden (UR 11). Leichtfertigkeit u. unkluger Eifer würden dem wahren Fortschritt der Einheitsbewegung nur schaden. Die ök. Betätigung der Katholiken "muß ganz u. echt kath. sein, d.h. in Treue zur Wahrheit, die wir von den Aposteln u. den Vätern empfangen haben, u. in Übereinstimmung mit dem Glauben, den die kath. Kirche immer bekannt hat, zugleich aber auch im Streben nach jener Fülle, die sein Leib nach dem Willen des Herrn im Ablauf der Zeit gewinnen soll" (UR 24).

Als Beispiele gesicherter Ergebnisse ök.er Arbeitsgruppen können die gemeinsamen Erklärungen der Anglikanischen/Röm.-kath. Internationalen Kommission über die Eucharistielehre (1973) u. Kirchl. Amt u. Weihe (1973) genannt werden. Umstritten blieb das Memorandum der Arbeitsgemeinschaft deutscher ök. Universitätsinstitute über Reform u. Anerkennung kirchlicher Ämter (1973).


III. Der Ö. kann in gemeinsamen rel. Unternehmungen von Katholiken mit Nichtkatholiken seinen Ausdruck finden u. durch sie gefördert werden. Wenn früher den Katholiken nur die passive od. rein materiale Anwesenheit bei nichtkath. Begräbnissen, Hochzeiten od. ähnl. Feiern aus bürgerl. Gründen gestattet, jegl. aktive Mitfeier nichtkatholischer Gottesdienste aber verboten war (CICc. 1258 §1), hat das 2. Vat. Konz. Neue Möglichkeiten eröffnet.


1. In der geistl. Gemeinschaft (communicatio in spiritualibus, DOe 29) sind allerdings auch weiterhin Unterschiede zu machen. Die verschiedenen christl. Güter mit der kath. Kirche in verschiedenem Ausmaß gemeinsam; demgemäß ist auch das Ausmaß, in dem gemeinsame rel. Unternehmungen sinnvoll sind, unterschiedl. (DOe 26). Es kann sich verschieden weit erstrecken: auf gemeinsam verrichtete Gebete, auf den gemeinsamen Gebrauch von Sachen od. Orten zum Gottesdienst; auf die gemeinsame Teilnahme am liturgischen Gottesdienst (der nach den Büchern, Vorschriften od. Gebräuchen einer Kirche od. Gemeinschaft von einem ihrer Amtsträger od. Beauftragten in Ausübung seines Amtes gehalten wird; DOe 31) od. gar an den Sakramenten einer Kirche od. kirchl. Gemeinschaft (DOe 29). Das 2. Vat. Konz. empfiehlt das gemeinsame Gebet "bei besonderen Anlässen", ist aber der Meinung: "Man darf jedoch die Gemeinschaft beim Gottesdienst (communicatio in sacris) nicht als ein allg. u. ohne Unterscheidung gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen ansehen" (UR 8).

Auf jeden Fall kann eine Gemeinsamkeit nur auf gegenseitiger Bereitschaft aufbauen. Was im gegebenen Fall mögl. ist, muß vielfach durch Besprechung der am Ort Verantwortlichen geklärt werden (DOe 27 43). Wo sich ein Einvernehmen nicht erreichen läßt, ist die Zeit für gemeinsame Unternehmungen noch nicht gekommen u. müssen dafür weitere Vorarbeiten geleistet werden. Einstweilen müssen die Ortsoberhirten (nötigenfalls die Bischofskonferenzen) durch entschiedene Maßnahmen dem Indifferentismus u. dem Proselytismus vorbeugen (DOe 28).


2. Am ehesten empfehlen sich gemeinsame Gebete von Katholiken mit nichtkath. Christen (UR 8; DOe 32). Sie können auf jegl. fördernswerte gemeinsame Sache ausgerichtet werden (DOe 33), bes. aber auf die Wiederherstellung der Einheit unter den Christen (DOe 34). Inhalt u. äußere Gestaltung müssen natürl. von allen Beteiligten einvernehml. festgelegt werden (DOe 35-37).


IV. Für die eigentl. liturgische Gemeinschaft (communicatio in sacris) sind die Voraussetzungen nicht bei allen Gemeinschaften u. unter allen Verhältnissen gegeben.


1. Das 2. Vat. Konz. erklärt, daß zwei Rücksichten zu nehmen sind, die einander entgegenstehen können; im konkreten Fall sei sorgfältig zu überlegen, welcher von beiden man folgen soll: "Hier sind hauptsächl. zwei Prinzipien maßgebend: die Bezeugung der Einheit der Kirche u. die Teilnahme an den Mitteln der Gnade" (UR 8). Welcher Rücksicht in der jeweiligen Situation der Vorzug zu geben ist, hat die bischöfl. Autorität des betreffenden Gebietes zu entscheiden (UR 8; OE 26; DOe 38 55).


a) Durch die Gottesdienstgemeinschaft könnte der Eindruck erweckt werden, als ob schon volle Einheit unter den Teilnehmern bestünde. Bes. die Eucharistiefeier hat den Charakter, eine schon bestehende Einheit zu bezeichnen u. sie weiter zu festigen (UR 2). Man kann das 2. Element betonen, die Vervollkommnung der Einheit durch die Eucharistie (vgl. SC 48). Damit die Einheit aber vervollkommnet werden kann, muß sie im wesentl. Ansatz schon da sein; das 2. Vat. Konz. nennt daher mit Augustinus die Eucharistie "Zeichen der Einheit" (SC 47; vgl. LG 26; AA 8). Wo durch gemeinsame Eucharistiefeier eine nicht vorhandene Einheit vorgetäuscht u. damit ein gewisser Indifferentismus genährt würde, widerspräche sie der Wahrheit u. soll sie unterbleiben. "Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft" (UR 8); deutlicher noch: "Wenn eine Communicatio in sacris die Einheit der Kirche verletzt od. wenn sie eine formale Bejahung einer Irrlehre, die Gefahr eines Glaubensabfalles, eines Ärgernisses od. religiöser Gleichgüligkeit in sich birgt, dann ist sie durch göttl. Gesetz verboten" (OE 26).


b) Das zweite Anliegen geht dahin, den Getauften den Zugang zu den Gnadengeheimnissen zu eröffnen. "Die Sorge um die Gnade empfiehlt sie [die Gemeinschaft beim Gottesdienst] in manchen Fällen" (UR 8; vgl. OE 26).


2. Am nächsten sind den Katholiken die getrennten Ostchristen verbunden. Sie bieten für die Gottesdienstgemeinschaft eine tragfähige ekklesiologische u. sakramententheol. Grundlage an: das gemeinsame Glaubensgut, die apost. Sukzession der Bischöfe, wahre Sakramente (vor allem Priestertum u. Eucharistie) (UR 14 f; DOe 39 f). Die kath. Kirche ist daher bereit, getrennte Ostchristen zu den Sakramenten der Buße u. des Altares u. der Krankensalbung zuzulassen, wenn sie von sich aus darum bitten u. in der richtigen Verfassung zum Empfang sind, u. zwar nicht nur in Todesgefahr der Bittenden, sondern auch, wenn sie sonst lange Zeit überhaupt nicht od. nur unter großen Schwierigkeiten die Sakramente in der eigenen Kirche empfangen könnten (OE 27; DOe 44); dies unter der Voraussetzung, daß nicht durch ihre Zulassung ein Schaden (Glaubensabfall, Ärgernis, rel. Gleichgültigkeit) angerichtet wird (OE 26; DOe 41 f 46). Umgekehrt können unter ähnl. Verhältnissen auch Katholiken um ihres geistl. Nutzens willen bei den getrennten Ostchristen die Sakramente empfangen, wenn sie dort gültig gespendet werden (OE 27; DOe 46); hinsichtl. der Häufigkeit der Kommunion u. der sakramentalen Buße vor der Kommunion sollen sie sich dabei an die Disziplin der betreffenden orientalischen Gemeinschaft halten (DOe 45).

Die Kirche legt darauf Wert, daß durch solche Zulassung die ök. Bestrebungen nicht Schaden leiden; daher wünscht sie, daß die kath. Oberhirten mit den nichtkath. des betreffenden Gebietes darüber Vereinbarungen treffen (DOe 43).

Darüber hinaus begünstigt die Kirche unter entsprechenden Bedingungen die gegenseitige Teilnahme von kath. u. getrennten Ostchristen am Gottesdienst (DOe 47-50) u. will sie, daß kath. u. getrennte ostkirchl. Gemeinden einander in der Betreuung je ihrer Gläubigen (im Bedarfsfall auch durch Überlassung von Räumen, Friedhöfen u. Gotteshäusern zur Benützung) unterstützen (OE 28; DOe 51-54).


3. Mehr Zurückhaltung ist gegenüber anderen christl. Gemeinschaften geboten, da die Grundlage für die Gottesdienstgemeinschaft mit ihnen meistens schmäler ist (vgl. UR 19 22). Zu den Sakramenten der Buße, der Eucharistie u. der Krankensalbung sollen Christen aus diesen Gemeinschaften durch kath. Spender nur in Todesgefahr od. in schwerer Not (Verfolgung, Gefängnis) zugelassen werden, wenn sie in kath. Sinn an diese Sakramente glauben u. in der notwendigen Verfassung aus eigenem Antrieb darum bitten u. ihnen Amtsträger der eigenen rel. Gemeinschaft nicht beistehen können. Umgekehrt darf der Katholik von einem nichtkath. Amtsträger Sakramente in gleicher Not nur verlangen, wenn dieser gültig geweihter Priester ist (DOe 55). Eine unterschiedslose Gottesdienstgemeinschaft ist nicht sinnvoll, wenn das 2. Vat. Konz. die Grenzen auch neu gezogen hat; hinsichtl. der Interkommunion hat das Sekretariat für die Einheit der Christen am 17. Oktober 1973 erneut darauf verwiesen.

Unter den erforderl. Bedingungen läßt die Kirche die Gottesdienstgemeinschaft auch mit diesen christl. Gemeinschaften in gewissem Grad zu (DOe 56-60) u. will sie sie in der rel. Betreuung ihrer Mitglieder unterstützen (DOe 61-63).


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